Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
…«
»Es gibt eine Menge Menschen da draußen, denen Recht und Unrecht herzlich egal sind«, fährt er fort und beachtet mich gar nicht. »Es gibt Leute, denen bereitet es Spaß, Ärger zu machen, und die Tatsache, dass sie ins Fernsehen kommen, ist ihnen nur noch ein weiterer Ansporn. Wenn sie es zeigen, suggerieren sie uns damit, dass es in ordnung, dass es akzeptabel ist.«
»Blödsinn! Das sagen sie keineswegs …«
»Sie deuten an, da schon so viele Menschen davon betroffen sind, macht es auch nichts mehr aus, wenn alle anderen auch noch mitmachen.«
»Blödsinn!«, wiederhole ich.
»Du musst nicht so unhöflich zu mir sein«, fährt er mich an.
»Du irrst dich«, versuche ich ihm zu erklären. »Es hat nichts damit zu tun, dass …«
»Und genau von so etwas rede ich«, fährt er mit erhobener Stimme fort und hört immer noch nicht auf das, was ich zu sagen versuche. »Vor dreißig Jahren hätte niemand solche Ausdrücke in einem normalen Gespräch benutzt. Heute ist jedes zweite Wort, das man hört, ein Schimpfwort. Die Maßstäbe haben sich verändert, und genau das passiert gerade auch auf den Straßen.«
Einen Moment fehlen mir die Worte. Der alte Mann ist plötzlich ganz aufgeregt geworden. Sein Gesicht ist rot
vor Wut, und da kommt mir ein schrecklicher Gedanke. Ist er ein Hasser? verwandelt er sich jeden Moment? Wird er wie diese Leute, die wir im Fernsehen gesehen haben? Könnte er mich angreifen? Soll ich ihn zuerst angreifen, bevor er die Möglichkeit hat, sich auf mich zu stürzen? Fängt es so etwa an …?
»Niemand hat mehr Respekt vor seinen Mitmenschen«, fährt er fort. »Eine Schande ist das. Aber es zeichnet sich schon seit Jahren ab. Bald haben wir die totale Anarchie, und dann wirst du schon sehen …«
»Ich weiß, was du sagen willst, Dad«, unterbricht ihn Lizzie, die wieder ins Wohnzimmer kommt, »aber ich bin nicht deiner Meinung. Danny und ich haben gestern Abend die gleiche Unterhaltung geführt, nicht? So etwas wie in den letzten Tagen habe ich vorher noch nie gesehen. Ich habe genug Gewalt erlebt, aber nie in dem Ausmaß.«
Ich entspanne mich. Die plötzliche Einmischung von Liz hat die Situation entschärft. Die Wut weicht aus Harrys Gesicht.
»Was meinst du? Wo ist der Unterschied?«, fragt er. Liz bleibt an der Tür stehen und denkt einen Moment nach.
»Als sie heute Nachmittag den Mann da draußen zusammengeschlagen hatten, da konnte man es einen Augenblick fast in der Luft spüren.«
»Was spüren?«, frage ich.
»Die Angst«, antwortet sie. »Die Leute haben Angst. Die Leute rechnen schon damit, dass es Ärger gibt, und bereiten sich darauf vor. Und wenn es passiert, reagieren sie meist ganz anders, als es ihrem normalen Naturell entspricht. Ich weiß nicht, was die Ursache dafür ist, Dad, aber ich weiß, es muss einen verständlichen, einleuchtenden
Grund dafür geben. Die Leute haben eine Heidenangst, und die Situation verschlimmert sich mit jedem weiteren Tag, der vergeht.«
»Die Lage wird sich wieder beruhigen …«, beginnt Harry instinktiv.
Lizzie schüttelt den Kopf. »Nein, sicher nicht«, sagt sie mit bebender und unsicherer Stimme. »Wir wurden heute Zeugen, wie mehrere Männer einen Hasser grausam zugerichtet haben. Ich weiß nicht, was er getan hat, aber schlimmer als ihre vergeltung kann es unmöglich gewesen sein. Sie empfanden so viel Wut und Hass wie jeder andere auch.«
Mittwoch
VII
Daryl Evans saß auf dem Oberdeck des Busses, der durch die Straßen Richtung Innenstadt fuhr. Während der Fahrt zu den Büros der Stadtverwaltung, wo er arbeitete und ihn ein neuer Tag voll Plackerei und Kummer erwartete, lehnte er sich gegen das Fenster und sah nach unten. Heute hatte er gar keine Lust zu arbeiten. Vielleicht könnte er versuchen, sich nach zwei Stunden abzuseilen, dachte er. Tina, seiner Vorgesetzten, einfach sagen, dass er sich nicht wohlfühlte und nach Hause musste. In der momentanen Lage glaubte er nicht, dass sie ihn daran hindern würde.
Evans interessierte sich nicht besonders für den Rest der Welt. Er verfolgte nicht weiter, was sich außerhalb seines engen Familien- und Freundeskreises abspielte. Gestern Abend war ein guter Abend gewesen, was es ihm noch schwerer machte, sich heute Morgen zu motivieren. Er verbrachte einige Zeit mit einem Freund, den er lange nicht mehr gesehen hatte. Sie aßen den ganzen Abend fettige Imbisskost und tranken Bier. Heute Morgen fühlte er sich immer noch aufgebläht und ein wenig verkatert. Er
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