Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
übrig.
Erst als ich das Haus bereits verlassen hatte, überlegte ich mir, wohin ich gehen sollte. Instinktiv fuhr ich zu dem Supermarkt, wo wir sonst immer unsere wöchentlichen Einkäufe erledigen, wendete aber, bevor ich dort war – schon vor dem Parkplatz hatte sich eine riesige Schlange gebildet. Es ist selbst unter günstigsten Bedingungen immer voll dort, und die Leute sind gereizt; hätte man den Laden heute betreten, hätte man Ärger geradezu herausgefordert.
Direkt vor mir stießen zwei Autos zusammen. Beide Fahrer stiegen aus und brüllten einander an, und ich fürchtete schon, es könnte richtig Ärger geben. Das Risiko wollte ich nicht eingehen und fuhr auf fast menschenleeren Straßen nach Hause zurück. Es sind immer noch Autos unterwegs, aber nicht einmal annähernd so viele wie sonst um diese Tageszeit.
Jetzt stehe ich vor o’Sheas Kaufladen. Der ist nur ein paar Minuten von unserer Wohnung entfernt. Abgelegen in einer Nebenstraße der Hauptverkehrsader, der Rushall Road. Kunden sind überwiegend die Stahlarbeiter der Fabrik um die Ecke. Man sollte meinen, wenn niemand zur Arbeit geht und die Fabrik geschlossen ist, müsste das Geschäft leer sein. Die führen nur einen Bruchteil der Waren des Supermarkts und verlangen glatt das Doppelte dafür, aber was bleibt mir übrig? Meine Familie braucht etwas zu essen, und das muss ich irgendwie beschaffen. Ich parke weiter entfernt als sonst und überquere die Straße.
verdammt, als ich mich dem Geschäft nähere, überlege ich mir, ob ich nicht lieber wieder umkehren soll. Es hat den Anschein, als würde das Gebäude gerade geplündert. Es wimmelt von Menschen, und der ganze Boden ist mit Abfall und Schutt übersät. Ich zwinge mich einzutreten, denn schließlich muss meine Familie etwas essen. Die Hälfte der Regale und Kühltruhen ist bereits leer, und es liegen mehr verpackungen und Müll herum als Waren. Ich schnappe mir einen Karton (den größten, den ich finden kann) und greife mir, was geht. Sieht ganz so aus, als hätten heute alle dieselbe Idee gehabt wie ich und Hamsterkäufe gemacht. Ich nehme, was ich kriegen kann – Dosen und abgepackte Lebensmittel, Würstchen im Glas, Chips, Süßigkeiten, Konserven -, einfach alles,
was noch da und essbar ist. Frisches gibt es gar nicht mehr, weder Milch noch Brot, obst oder Gemüse.
Das Geschäft ist klein, die Nerven in dem überhitzten und brechend vollen Gebäude liegen blank. Einkäufe wecken offenbar immer die niedersten Instinkte der Leute. Heute spüre ich die nervöse Feindseligkeit regelrecht, die in der Luft liegt, aber niemand reagiert. Alle halten die Köpfe gesenkt und plündern stumm die Regale. Keiner sagt ein Wort. Niemand stellt bewusst Blickkontakt mit einem anderen her. Ein alter Mann stößt mir unabsichtlich den Ellbogen in die Rippen, als wir beide nach derselben Packung greifen. Normalerweise hätte ich ihn angebrüllt und er mich wahrscheinlich auch. Wir sehen uns einen Sekundenbruchteil stumm an und nehmen dann, was wir können. Ich wage nicht, einen Streit vom Zaun zu brechen.
Mein Karton ist zu zwei Dritteln voll. Ich biege um die Ecke in den letzten Gang und sehe zwei freie Kassen vor mir. Die Leute gehen einfach durch; von Personal ist keine Spur zu sehen. In meiner Naivität bin ich davon ausgegangen, dass die Leute, die ich aus dem Geschäft kommen sah, ihre Lebensmittel bezahlt hätten. Soll ich auch einfach mitnehmen, was ich habe? Trotz allem werde ich nervös, wenn ich mir vorstelle, dass ich das alles mitnehme, ohne dafür zu bezahlen. Aber ich muss tun, was ich tun muss. Scheiß auf die Konsequenzen, ich muss an meine Familie denken, an niemanden sonst. Das ist der blanke Wahnsinn. Plünderung mit guten Manieren. Ich fülle meinen Karton weiter und nähere mich dem Ausgang.
Ein Schrei ertönt. Verdammt, ein grässliches Geräusch, das mir durch Mark und Bein geht. Die Leute bleiben stehen und sehen nach der Ursache. Ich bemerke dicht hinter
mir eine Frau: Sie liegt mitten im Gang und schützt das Gesicht mit den Händen. Ich will nicht hinsehen, kann aber nicht anders. Jemand geht zur Seite, da sehe ich, dass sie von einem Kind angegriffen wird. Ein Mädchen, acht oder neun Jahre, nicht älter, sitzt praktisch auf ihr, schlägt sie und zieht sie an den Haaren. Mein Gott, das Mädchen hält eine Suppendose in einer Hand und schlägt damit auf die Frau ein. Die Dose landet auf der Stirn, wo sofort ein blutiger, roter Striemen erscheint. Die Frau weint und
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