Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
Bestellungen in der Lagerhalle bearbeitet«, erklärt der hünenhafte Mann mit überraschend sanfter Stimme. »Wusste erst gar nicht, was los ist. Ich ging auf einen los, aber es waren zu viele. Die haben mich in einem der Büros eingesperrt, aber ich konnte durch das Fenster entkommen. Mir blieb nur die Flucht.«
Diese Unterhaltung ist bizarr und beängstigend surreal. Sie erscheint erst glaubwürdig, als ich bedenke, dass ich heute zwei Menschen getötet habe. Wie kann das sein? Mein Gott, bis heute Morgen habe ich nie auch nur die Beherrschung verloren und jemanden geschlagen, geschweige denn umgebracht. Patrick reicht mir eine Flasche Wasser, aus der ich durstig trinke.
»Was ist mit dir?«, frage ich ihn.
»Ich habe getötet«, antwortet er. »Weiß gar nicht, wer der Kerl war, ich musste es einfach nur tun, genau wie ihr auch. Er stand einfach nur da und starrte mich an; ich stieg ins Auto ein …«
»… und?«
»Und ich hab ihn umgemäht. Den Motor angelassen, ihn die Straße runtergejagt und überfahren. Das Auto hatte ich auch abgeschrieben. Ich fuhr einfach mit ihm unter den Rädern weiter. Wusste nicht, was ich sonst machen sollte. Als ich nach Hause kam, stellte ich fest, dass mein Mädchen genauso war wie er, und …«
»… und den Rest der Geschichte kennst du«, murmelt Craig. »Man muss es einfach tun, nicht wahr?«
»Es kommt einem wie die zweite Natur vor«, sagt Patrick leise. »Es geschieht instinktiv. Wie der Instinkt eines Tieres.«
Es wurde still im Raum.
»Und wie geht es jetzt weiter?«, frage ich.
»Wer weiß?«, erwidert Nancy. »Ich vermute, wir werden uns einfach weiter gegenseitig töten, bis entweder sie oder wir ausgerottet sind. Verrückt, was?«
Ich kann kaum begreifen, dass diese Frau (die wie eine durchschnittliche Ehefrau/Mutter/Tochter/Schwester/ Tante aussieht) so sachlich und nüchtern vom Töten
spricht. In den Tagen seit ihrer Verwandlung hat sie offenbar jeden Aspekt ihres früheren Lebens abgestreift und scheint bereit, jederzeit zu töten, um selbst am Leben zu bleiben. In solchen Augenblicken kommt mir alles unglaublich vor. Man hat eher den Eindruck, Nancy würde einem einen Kuchen backen, statt einen zu töten. Ich schüttle bestürzt den Kopf, während Craig aufsteht, eine Schaltafel aus Holz vor die Türöffnung stellt und damit den letzten Rest Licht von draußen aussperrt.
35
Also, wie viel hast du dir schon zusammengereimt?«, fragt Patrick. Wir sind beide im ersten Stock, vermutlich dem geplanten Elternschlafzimmer des Rohbaus, und sitzen mit dem Rücken an der frisch verputzten Wand. Es hat aufgeklart, und der Mond spendet ein begrenztes, aber höchst willkommenes Licht durch das Gitter vor dem Fenster. Ich bin müde und will eigentlich nicht reden, kann aber nicht anders, als seine Fragen zu beantworten.
»Ich hab keinen blassen Schimmer, was hier vor sich geht«, erwidere ich aufrichtig. »Mehr als da drinsteht, weiß ich nicht«, füge ich hinzu, hole die Broschüre aus der Tasche und gebe sie ihm. Er überfliegt die Seiten im Licht der Taschenlampe und lächelt wissend in sich hinein.
»Echt guter Lesestoff!«, sagt er mit einem sarkastischen Lachen.
»Ist aus einem Haus, wo ich mich versteckt hab«, erkläre ich. »Nicht dass es was nützen würde.«
»Wann hast du denn zum letzten Mal von offiziellen Stellen was Nützliches gekriegt?« Er klappt die Broschüre zu und wirft sie auf den kahlen Boden.
»Ist ja nicht so, dass man jemanden danach fragen könnte, oder?«, sage ich. »Ich bin immer noch nicht sicher, ob überhaupt jemand weiß, was hier los ist.«
»Jemand weiß es«, murmelt er, »jemand muss es wissen. Jede Wette, seit der erste Mensch sich verwandelt hat, gibt es irgendwo eine Behörde, wo sie uns analysieren und Leute wie dich und mich aufschneiden und …«
»Aufschneiden?«
»Ich übertreibe«, fährt er fort, »aber du weißt, was ich sagen will, oder? Die haben irgendwo ein Team von Top-Wissenschaftlern in einem Labor, die erforschen, was mit uns passiert ist. Die an einem Heilmittel arbeiten.«
»Glaubst du?«
Er zuckt die Achseln. »vielleicht. Was immer passiert, die suchen garantiert nach einer Möglichkeit, wie sie uns aufhalten können.«
Ich weiß, dass er recht hat. Wir sind eine Bedrohung für sie. Eine größere Bedrohung als jeder Gegner, mit dem sie es bis jetzt zu tun hatten.
»Ich will nicht geheilt werden«, sage ich, ein Eingeständnis, das mich selbst überrascht. »Ich will so bleiben. Ich will
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