Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
mir. Mein Gesicht wird fest gegen den schmutzigen Boden gepresst; als die beiden anderen versuchen, sich von mir zu lösen, schieben sie mich noch weiter nach hinten.
»Es ist alles gut«, höre ich einen Unbekannten ganz in meiner Nähe flüstern. »Hier seid ihr unter Freunden.«
Wer immer auf mir liegt, schafft es endlich, sich zu erheben, sodass auch ich aufstehen könnte. Ich versuche es, aber der Motor des Lastwagens wird angelassen, und durch den plötzlichen Ruck beim Anfahren falle ich wieder hin. Jemand hilft mir auf, ich kann mich zum ersten Mal umsehen. Ich zähle die dunklen Umrisse von siebzehn weiteren Personen hier drin, Patrick und Nancy eingeschlossen. Trotz der unzureichenden Beleuchtung erkenne ich sofort, dass sie wie ich sind. Siebzehn Männer, Frauen und Kinder wie ich.
38
Mir kommt es vor, als würden wir seit Stunden fahren, aber natürlich kann es nicht annähernd so lange sein. Wir haben noch fünfmal angehalten, um weitere Leute an Bord zu nehmen, aber seit dem letzten Stopp ist einige Zeit vergangen. Ich glaube, inzwischen sind wir achtundzwanzig. Mich erleichtert es, dass ich mich unter so vielen Leuten befinde, die wie ich sind, aber der Platz ist begrenzt; es ist heiß und verdammt unbequem unter der Plane. Ich nehme an, der Lastwagen ist jetzt voll, doch wohin zum Teufel bringen sie uns? Mein Zuhause und meine Familie und alles andere, was dahin ist, scheinen eine Million Meilen entfernt zu sein. Ich weiß, mit jeder Minute, die ich in diesem verdammten Lastwagen verbringe, vergrößert sich die Entfernung zwischen mir und Ellis.
Die Plane über unseren Köpfen lässt kaum Licht durch, daher kann man nicht viel sehen. Es ist mir gelungen, zur Seite des Fahrzeugs zu robben, wo jemand ein kleines Stück des Segeltuchs anheben konnte. Viel erkennen kann ich nicht durch die Lücke, nur die Straße, die an uns vorbeirauscht. Wir haben seit einiger Zeit nicht mehr vor irgendwelchen Kurven oder Abbiegungen gebremst. Anscheinend befinden wir uns auf einer praktisch menschenleeren Hauptverkehrsader. Ich bin so gut wie blind und höre kaum etwas, außer dem knatternden Motor und
dem Brummen der Reifen auf dem Asphalt. Die Welt kommt mir einsam und fremd vor, und die desorientierende Fahrt macht alles nur noch schlimmer.
Die wenigen Gesichter, die ich in meiner unmittelbaren Umgebung sehe, wirken niedergeschlagen, leer und ausdruckslos. Niemand begreift, was geschieht oder warum. Die Leute sind so ängstlich und verwirrt, dass sie schweigsam und wortkarg bleiben. Es gibt keine Unterhaltungen, nur vereinzelte geflüsterte Worte. Ich wünschte, es gäbe eine Ablenkung. Da mich sonst nichts beschäftigt, kreisen meine Gedanken permanent um Ellis und was mich am Ende der Reise erwarten könnte. Wohin werden wir gebracht, und was geschieht mit uns, wenn wir dort sind? Jemand hinten im Lastwagen unternimmt den halbherzigen versuch, die Plane hochzuheben. Ein paar Sekunden lang scheint eine Flucht denkbar, bis wir feststellen, dass die Plane von außen gesichert wurde. Wir sind hier drinnen gefangen.
Neben mir sitzt ein Mädchen, das immer aufgeregter wird. Ich habe mich sehr bemüht, trotz des Halbdunkels niemanden übertrieben auffällig anzustarren, sehe aber genug und weiß, dass sie jung und hübsch ist, auch wenn ihr Gesicht schmutzig und tränenüberströmt aussieht. Sie scheint unter zwanzig zu sein, vielleicht auch ein klein wenig darüber. Als sie sich an mich lehnt, spüre ich, dass sie am ganzen Körper zittert. Sie schluchzt schon eine ganze Weile. Sie sieht mich an und wagt zum ersten Mal Blickkontakt.
»Mir ist schlecht«, wimmert sie. »Ich glaub, ich muss mich übergeben.« Ich kann Kotze nicht ertragen. Bitte tu’s nicht, denke ich bei mir.
»Tief durchatmen«, schlage ich vor, »das sind wahrscheinlich
nur die Nerven. versuch einfach, tief und regelmäßig zu atmen.«
»Das sind nicht die Nerven«, erwidert sie. »Mir wird vom Autofahren immer schlecht.«
Na super. ohne nachzudenken halte ich ihren Arm und streiche ihr mit der anderen Hand über den Rücken. Was für mich vermutlich tröstlicher ist als für sie.
»Wie heißt du?«, frage ich in der Hoffnung, dass ich sie ablenken kann und sie vergisst, wie schlecht ihr wirklich ist.
»Karin«, antwortet sie.
Jetzt fällt mir nichts mehr ein. Worüber könnte ich mit ihr reden? Wenn es ihr so ergeht wie mir, dann ist sie unvermittelt zu einer obdachlosen Killerin ohne Freunde oder verwandte geworden. Es hat keinen
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