Im Wald der gehenkten Füchse
worden, doch niemand hatte es für nötig befunden, ihr zu erzählen, wohin. Jetzt erinnerte sie sich nicht einmal mehr recht an den Namen des Krieges ... Jedenfalls hatte man ihren Mann mitgenommen und dort behalten, und sie hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Hatte der Krieg Kiureli verschlungen, oder hatte er sich in die weite Welt verirrt? Wer konnte das schon sagen. Naskas Erinnerungen an Kiureli besagten, dass er im Großen und Ganzen ein guter Mann gewesen war, sie jedoch ab und zu geschlagen hatte. Trotzdem hätte sie ihn behalten und nicht in den Krieg ziehen lassen mögen. Es wäre leichter gewesen, die Kinder großzuziehen, wenn Kiureli sie unterstützt hätte.
Naska blies die Kerze vor der Ikone aus und zog sich an. Dann ging sie nach draußen, fegte den frischgefallenen Schnee von der Treppe und dem Hofpfad und trug ein paar Arm voll Kleinholz in die Stube, dann gab sie ihrem Kater Jermakki zu fressen. Nun beschloss sie, ihren Geburtstag festlich zu gestalten, indem sie sich eine Suppe aus Rentierfleisch kochte. Ein Fleischgericht war teurer als Fisch, aber Naska war keine geizige Frau.
»Der Mensch wird nur einmal im Leben neunzig Jahre alt.«
Gerade als Naska sich ihr Kirchgangskleid und die besseren Schuhe angezogen hatte, kamen zwei Autos auf den Hof gebraust. Das war seit vielen Monaten nicht vorgekommen.
Ach, du liebe Güte! Kam man jetzt, um sie ins Altersheim nach Inari zu bringen?, fuhr es Naska durch den Sinn. Hastig kämmte sie sich ihr dünnes Haar und ging dann hinaus, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Besser sie verhielt sich liebenswürdig, damit die Gäste nicht wieder vom Umzug redeten. Sie hatte doch hier ihr eigenes Haus, warum in aller Welt sollte sie das plötzlich verlassen und in ein Heim gehen, als alter Mensch!
»Willkommen, meine Lieben«, wünschte Naska ängstlich. Die Schar der Gäste wurde angeführt vom Sozialdirektor der Gemeinde. Eigentlich ein netter Bursche, fand Naska, aber immer kam er mit irgendwelchen unangenehmen Dingen. Mal sollte sie eine Steuererklärung ausfüllen, mal Fürsorge oder Vormundschaft beantragen. Als ob es im Leben eines Menschen nicht schon genug Mühsal gäbe.
Sozialdirektor Hemminki Yrjölä führte die Gesellschaft herein. Sie bestand aus der Stationsschwester Sinikka Hannuksela von der Krankenstation des Altersheims, dem Redakteur Eevertti Tulppio von der Regionalzeitung Lapin Kansa , der für seine Kolumnen das Pseudonym »Ewerdy« benutzte, und dem reisenden Brauchtumsforscher Sakari Puoli-Tiitto von der Universität Oulu. Der Brauchtumsforscher schleppte ein Tonbandgerät herein, der Redakteur trug Kamera und Blitzlichtgerät, die Stationsschwester eine warme Decke und der Sozialdirektor einen Blumenstrauß. Er verbeugte sich höflich, als er Naska Mosnikoff die Blumen überreichte.
»Herzlichen Glückwunsch, Naska. Du bist jetzt die älteste Skolt-Samin der Gemeinde, und hier sind als Anerkennung ein paar Blumen. Der heutige Tag wird auch noch dadurch besonders bedeutsam, dass du jetzt die älteste Skolt-Samin von ganz Finnland bist.«
Redakteur Tulppio erklärte, dass es auch in Nellimö niemanden mehr gebe, der über neunzig sei, da Rietu im Frühjahr gestorben sei. Er plane für seinen Zeitungsbericht über Naskas Fest die Überschrift »Gespräch mit der ältesten Skolt-Samin Finnlands – die rüstige Naska Mosnikoff erzählt aufgeschlossen«.
»Man müsste eigentlich mal prüfen, ob du nicht sogar die älteste Skolt-Samin der Welt bist, Naska! Das gäbe erst eine tolle Story, stellt euch mal alle die Überschrift vor: ›Naska Mosnikoff – die älteste lebende Skolt-Samin der Welt‹.«
Naska öffnete das Blumenbukett. Sie staunte sehr, dass die Blumen so schön blühten, obwohl es bereits Oktober war.
»Das wäre doch nicht nötig gewesen ... Was sagen eure Frauen, wenn sie merken, dass ihr zu Hause die Blumen weggenommen und zu mir gebracht habt«, sorgte sie sich.
Man beruhigte Naska, die Blumen habe man am Kiosk gekauft. Die Stationsschwester legte ihr die warme Decke um die Schultern und führte sie dann zu einem Stuhl. Anschließend sah sich die Schwester nach einer Blumenvase um, doch da es im Haus keine gab, steckte sie den Strauß in eine große blecherne Milchkanne, die sie an den Herdrand stellte. Nach einiger Zeit begann das Wasser, in der Blechkanne zu sieden, sodass sich in der kleinen Stube betäubender Blumenduft ausbreitete. Naska bemerkte, was los war, sie nahm die Kanne vom Herd und stellte sie
Weitere Kostenlose Bücher