Im Wald der stummen Schreie
dachte man an die Gaskammern der Nazi-Konzentrationslager ... Dann öffnete sich der Laderaum, und die Körper wurden abgeworfen. Palin wollte einen Gefangenen gerade in die Tiefe stoßen, als der Typ aufwachte. Er hat sich an ihm festgeklammert.« Pellegrini lachte laut auf. »Dieser Dummkopf wäre beinahe mit dem subversivo über Bord gegangen!«
Sein schallendes Lachen ging in einen Husten über. Mit düsterer Miene wandte er sich wieder seinem Stück Rindfleisch zu.
»Er sagte, der Typ begegne ihm jede Nacht in seinen Albträumen wieder. Palin sah wieder und wieder den panischen Schrecken im Gesicht dieses Mannes. Die Hand, die sich an seinem Arm festklammerte. Der stumme Schrei, als er fiel ... Für Palin verkörperte dieser Vorfall das ganze Grauen der vuelos . Als ob Gott den Gefangenen geweckt hätte, um ihn, Palin, mit der Grausamkeit seiner Tat zu konfrontieren.« Mit theatralischer Geste deklamierte Pellegrini auf Französisch: »Das Auge war im Grab und blickte Kain an ...« 3
Wie ein Scheibenwischer schwenkte er sein blutiges Messer durch die Luft.
»Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, weiterzumachen und, unter anderem, die Miliz Triple A zu gründen. Gute Arbeit.«
Jeanne kannte diesen Namen. Die Argentinische Antikommunistische Allianz. Eine rechtsextreme terroristische Gruppierung, aus der sich in den finsteren Jahren die Todesschwadronen rekrutierten.
»Später«, fuhr der Oberst fort, »ist er Admiral geworden. Videla bewunderte ihn. Er galt als der Intellektuelle der Bande. Das war nicht besonders schwer. Er wurde zum Chef des Informationsamtes ernannt. Da musste er sich die Hände nicht mehr schmutzig machen. Und dann hat er die Psychoanalyse entdeckt.«
»Die Psychoanalyse?«
»In Argentinien liebt man dieses Zeug. Seine Analyse hat Jahre gedauert ...«
Jeanne stellte sich vor, wie Admiral Alfonso Palin, oberster Foltermeister, Serienmörder, »Kopf« der antisubversiven Säuberung, jede Woche seinen Analytiker aufsuchte, um sein Gewissen zu erleichtern. Mission impossible .
Es war Zeit, zum Kern der Sache zu kommen.
»Wir wissen, dass Alfonso Palin Sie 1981 aufsuchte, als Sie das Campo Alegre leiteten.«
Pellegrini machte sich über seine achuras her, Innereien. Bratwürste ...
»Sie sind gut unterrichtet.«
»Können Sie uns sagen, was damals passiert ist?«
El Puma überlegte.
»Weshalb sollte ich Ihnen das erzählen?«
Jeanne setzte auf die Eitelkeit des Mannes:
»Um im Mittelpunkt unseres Buches zu stehen. Als Hauptdarsteller. Im Übrigen ist alles verjährt, wie Sie selbst gesagt haben.«
Der Oberst lächelte grimmig, voller Stolz. Ja. Seine Eitelkeit war seine Achillesferse. Jeanne konnte eine gewisse Sympathie für diesen Mann nicht leugnen. Ein Massenmörder. Aber ein Mörder, der nicht log.
»Damals hatten wir ein Problem«, begann er. »Die Generäle hatten beschlossen, die Kinder der Gefangenen nicht zu töten. Man musste sie also irgendwo unterbringen und erziehen. In Chile hieß es: ›Man muss die Hündin töten, bevor sie Junge wirft.‹ Hier sammelte man die Jungen ein und führte sie auf den rechten Weg zurück. Auch eine Methode. Ich hielt das für einen Fehler. Man hätte sie ebenfalls umbringen müssen. Alle. Heute sieht man doch, wohin uns das gebracht hat: Diese Dreckskinder, die wir verschont und aufgezogen haben, wenden sich gegen uns. Man hätte sie alle in ein Frachtflugzeug stecken, ihnen eine ordentliche Spritze verpassen ...«
»Was ist passiert?«
»Es war ein einziges Chaos«, fuhr Pellegrini in ruhigerem Ton fort. »Es gab keine Regeln. Die weiblichen Gefangenen kamen in den Kerkern nieder. Offiziere schenkten ihren Lieblingsnutten Neugeborene. Ein Kommissar adoptierte ein Kind, um sich für seine alten Tage eine ›junge Braut‹ zu halten. Unteroffiziere verkauften Säuglinge an reiche Familien. Videla wollte Ordnung in diesen Saustall bringen. Also hat er Palin beauftragt, eine Zählung durchzuführen.«
»Der Kinder, die in den Haftanstalten geboren wurden?«
Der Oberst verschlang eine Bratwurst.
»Genau.«
Zum ersten Mal mischte sich Féraud ein:
»Aber ... und die Mütter? Die Mütter der Neugeborenen?«
»Sie wurden verlegt.«
»Wohin?«
Pellegrini betrachtete abwechselnd Féraud und Jeanne. Ihre Naivität schien ihn zu bestürzen.
»Man schickte ein Telegramm nach Buenos Aires mit dem Vermerk R.I.P. Requiescat in pace . Damals hatte man noch Sinn für Humor.«
»Im November 1981«, nahm Jeanne den Faden wieder auf,
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