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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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lächelte. ›日落‹ - ›Operation Sonenuntergang‹ konnte endlich beginnen.

Kapitel 10
     
    Paradeplatz, Zürich, 12. Oktober 09:00 Uhr, Stunde Null
     
    Charlotte Cromwell löste ihren Blick für einen Augenblick von den Bildschirmen und schaute spöttisch zum Pult des Chefs hinüber.
    »Was?«, fragte Robert gereizt, als er aufstand und ihren Gesichtsausdruck bemerkte.
    »Viel Spaß mit Karl«, grinste sie und wandte sich wieder ihren Kursen zu.
    »Deine Witze waren auch schon besser.« Er blickte provozierend in die Runde. »Sonst noch jemand?«, fragte er verärgert. Die Händler zogen es vor, Zeitung zu lesen oder zu telefonieren. Robert kickte seinen Sessel ans Pult und verließ den Handelsraum. Der hintere Teil der Bank mit seinen engen, dunklen Korridoren, in denen auch noch Kopierer und Drucker den Weg versperrten, war das pure Gegenteil der edlen, glänzenden Fassade der Kundenbereiche. Er hasste die überfüllten Büros des Backoffice. Hier roch es nach Chaos, und es sah auch nicht anders aus. Jedes Mal, wenn er nicht vermeiden konnte hier aufzukreuzen, wunderte er sich über die Zahl und Größe der Aktenschränke, die Berge von Listen und sonstigem Papier auf den Schreibtischen. Wie war das möglich im Zeitalter der Elektronik?
    Karl, der Chef des Zahlungsverkehrs, sprach heftig gestikulierend ins Telefon. Eine Mitarbeiterin blätterte dabei mit steinerner Miene langsam durch einen Computerausdruck wie die Umblätterin an der Seite des Klavierspielers. Schließlich knallte Karl den Hörer auf die Gabel und die Mitarbeiterin verschwand zwischen zwei Stellwänden.
    »Auch das noch«, rief Karl verdrossen aus, als er ihn erblickte.
    Wenn jemand an diesem Morgen noch mieser drauf war als er, dann war es der gestresste Karl. »Ich kann’s uns leider nicht ersparen«, versuchte er ihn zu beruhigen.
    »Du hast ja keine Ahnung«, brummte Karl. Er stand auf und ging ohne ein weiteres Wort voran zur Sicherheitszone, wo sich die zwei SWIFT-Terminals befanden. Der fensterlose Raum wurde nur selten benutzt, denn der übliche elektronische Zahlungsverkehr lief automatisch über die Computer ab. Heute würde sich das gründlich ändern.
    Sie setzten sich nebeneinander an einen der Arbeitsplätze, die direkt mit dem SWIFT-Netzwerk verbunden waren. Robert breitete das Fax mit den Anweisungen aus Macao auf dem Tisch aus, dann holte er den Streifen mit dem Geheimcode aus der Tasche und legte ihn dazu. »Li besteht darauf, dass die Zahlungen in dieser Reihenfolge ausgelöst werden«, sagte er.
    Karl schnaubte verächtlich. Obwohl Robert ihn ausführlich vorgewarnt hatte, verschaffte er seinem Ärger Luft: »Für wen halten uns diese galaktischen Idioten eigentlich?«
    »›Galaxy Boom Industries‹, mein lieber Karl, ist unser bester Kunde. Wir sollten anfangen, es ist gleich neun.«
    Karl tippte Benutzer-Identifikation und Passwort ein, rief die Maske zur Erfassung von Interbankzahlungen vom Typ MT202 auf und begann, die erste Meldung einzugeben. Einmal bei der Arbeit, ging alles so schnell, dass selbst Robert kaum Zeit fand, alles genau zu kontrollieren. Die erste Überweisung in Lis Liste war eine Zahlung von hundert Dollar an das Korrespondenzkonto ihrer Bank bei ›JP Morgan‹, New York, zugunsten einer Firma in New Jersey mit dem Konto bei der gleichen Bank. Ein letztes Mal bäumte Karl sich auf, als er den unmöglichen Zeichenbandwurm des Codestreifens ins Kommentarfeld 70 auf dem Bildschirm übertragen musste. »Ich bring ihn um, den Hund«, schimpfte er, während seine Finger über die Tastatur flogen.
    »Es ist immer der gleiche Code. Kannst du ihn nicht kopieren?«
    »Stell dir vor, daran habe ich auch schon gedacht. Also, was ist? Hast du die Eingaben kontrolliert?«
    Robert nickte. Karl drückte die ENTER-Taste. Die erste Zahlung war unterwegs. Die zweite Vergütung mit dem seltsamen Code über hundert Pfund ging an die britische ›Barclays‹ Bank in London, zugunsten ›Abercombie Trading Ltd.‹ in Newcastle. Eine dritte MT202 Meldung richtete sich an die ›Deutsche Bank‹, Frankfurt: hundert Euro zugunsten eines Unternehmens in Wuppertal. Die Mizuho Bank in Tokio erhielt zehntausend Yen für ein Handelsunternehmen, das ein Konto bei ihr hatte. Die Liste war noch lange nicht fertig. Es folgte eine weitere Gruppe von fünf Zahlungen, die sich wieder an Banken in den USA, England, Deutschland und Japan richteten. Das Spiel wiederholte sich noch dreimal. Nach einer der mühsamsten Stunden, die

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