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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Schreckensrufe, Türen knarrten, Glas splitterte. Draußen flackerte plötzlich unstetes Licht auf, mitten in der Nacht. Das Atmen fiel ihm schwerer. »Rauch!«, brüllte er. »Es brennt!« Die ersten Balken krachten irgendwo unter ihnen zu Boden. Verzweifelt rüttelte er Jessie wach, warf ihr seine Jacke über. Nur mit den Unterhosen bekleidet rannte er mit ihr zur Tür. Auf halbem Weg sah er den Qualm durch die Ritzen eindringen. Entsetzt packte er sie, schleifte sie wie einen Sack zurück, möglichst weit weg vom Rauch. Er riss das Fenster auf. Statt kühle Nachtluft wehte ihm heiße Glut ins Gesicht.
    »Bist du verrückt!«, schrie sie und versuchte ihn von der Öffnung wegzuzerren. »Schließ das Fenster!«
    »Wir müssen hier raus. Es ist unsere einzige Chance«, rief er zurück, um das zunehmend lautere Getöse des Feuers zu übertönen. In der Ferne sah er die ersten Lichter der Rettungskolonne aufblitzen. Das Erdgeschoss brannte fast auf der ganzen Breite. Nur wenn sie sich beeilten, schafften sie den Sprung noch. Er setzte sich rittlings auf die Brüstung und hob sie einfach ins Freie, Sie schrie ihn an, kratzte und wehrte sich mit Händen und Füßen. Seinem eisernen Griff hatte sie nichts entgegenzusetzen. Er beugte sich soweit hinunter wie es ging, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, dann ließ er einen ihrer Arme los. »Noch einen Meter. Ich muss dich jetzt fallenlassen. Achtung!«
    Mit einem Schmerzensruf schlug sie auf dem Boden auf. Sie rappelte sich sofort auf, schien unverletzt.
    »Weg vom Haus!«, rief er, während er über das Sims kletterte. Die Sirenen der Feuerwehrtrucks mischten sich mit den Entsetzensschreien und dem Rauschen, Knacken und Pfeifen der Flammen zu einem tosenden Inferno. Er hing nur noch mit den Fingerspitzen an der Brüstung, da explodierte das Zimmer, in dem er zwei, drei Minuten zuvor noch tief geschlafen hatte. Ein Schwall heißer Gase fegte über ihn hinweg aus dem Fenster. Glühende Splitter regneten auf sein Haar und die Finger. Er ließ sich mit einem unterdrückten Fluch fallen. Sein linkes Knie schlug hart auf eine Steinkante, als er den Sturz abzufangen suchte. Er blieb stöhnend liegen, während sich der Brand heulend über ihm in den Dachstock fraß.
    Halb betäubt vernahm er Jessies spitze Schreie: »Ryan – Hilfe – lasst mich...« Nach Luft schnappend wie ein Ertrinkender sah er, wie sie ihm zu Hilfe eilen wollte, doch zwei Männer in gelben Westen hielten sie zurück. Der Schmerz im Bein lähmte ihn. Umso verbissener kämpfte er dagegen an, robbte stöhnend weg vom brennenden Haus. Zu langsam. Ein Funkenregen prasselte auf ihn nieder. Glut verfing sich in seinem Haar. Fluchend versuchte er sich davon zu befreien, da packten ihn kräftige Hände unter den Achseln, schleppten ihn schnell weg aus der Gefahrenzone.
    »Wo ist Hazel? «, fragte er gequält, als sich Jessie über ihn beugte.
    »Beim Notarzt. Sie hat den Arm gebrochen.«
    »Sie lebt, Gott sei Dank. Bist du O. K.?«
    »Mir geht es blendend«, meinte sie bitter. »Was ist mit deinem Bein?«
    »Das werden wir gleich herausfinden«, lächelte die Ärztin, während sie sich neben Ryan niederkniete.
    Allmählich fand er Zeit, sich zu fragen, was eigentlich geschehen war. Nach ersten Informationen von Polizei und Feuerwehr hatten alle Bewohner des Hauses Glück gehabt. Das Gästepaar im Erdgeschoss des Bed & Breakfast konnte rechtzeitig fliehen. Ein weiterer Gast im ersten Stock hatte Jessies Mutter geholfen, aus dem Fenster zu klettern. Vom stolzen Haus, dem Prunkstück der Greenhill Terrace, war nur eine rauchende Ruine übriggeblieben, der prächtige Garten ein öder Morast. Sein Knie schien nicht ernsthaft verletzt, jedenfalls war nichts gebrochen, keine Sehne gerissen. Trotzdem ließ der stechende Schmerz erst nach einer Spritze nach. Wie durch ein Wunder blieb Jessie vollkommen unversehrt. Äußerlich. In ihrem Innern war sie zutiefst verletzt. Sie zitterte lange in seinen Armen. Er sah das nackte Entsetzen in ihren Augen. Als genügte dies alles dem Schicksal noch nicht, schockierte sie der Einsatzleiter zu guter Letzt mit der Bestätigung seiner schlimmsten Vermutung: Brandstiftung. Man hatte eindeutige Spuren von Benzin in Flur und Treppenhaus gefunden.
    »Ihr könnt in meinem Haus wohnen«, versuchte er sie zu trösten. Seit dem Tod seiner Mutter stand das Reihenhaus an der Kirkleton Avenue leer.
    »Ja, danke«, murmelte sie abwesend. »Ich muss zu Ma.« Sie löste sich aus seinen Armen und eilte

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