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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Robert je erlebt hatte, waren zwanzig lächerliche Überweisungen im SWIFT-Netz auf dem Weg zum Empfänger. Er packte das Fax und den Code wieder ein und kontrollierte, dass Karl den kopierten Geheimcode löschte.
    Bevor sein Kollege vom Backoffice sich ausloggte, prüfte er nochmals die Statusanzeigen der zwanzig Meldungen. »Das gibt’s nicht!«, stutzte er.
    Robert sah nichts Ungewöhnliches auf dem Bildschirm. »Stimmt etwas nicht?«
    »Allerdings. Hier, der Übermittlungscode.«
    Robert zuckte nur die Achseln, da erklärte ihm Karl das Problem:
    »Nur sechs Meldungen sind beim Empfänger angekommen. Die andern hängen noch in der Queue. Seltsam.«
    »Ist das so erstaunlich?«
    »Du hast echt keine Ahnung, was? Die Übermittlung dauert normalerweise nur Sekunden. Den Zustand ›wartend‹ siehst du praktisch nie im heutigen Netz. Noch weniger verstehe ich, dass nicht einmal die ersten sechs durchgegangen sind.« Sein Zeigefinger wischte auf dem Bildschirm den Statuszeilen entlang. »Die ersten nach Frankfurt und Tokyo sind O. K., dann die dritte nach New York, und die drei letzten sind auch schon durch. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
    »Computer«, meinte Robert leichthin. Er brauchte endlich eine Zigarette. Es interessierte ihn nicht im Mindesten, warum die andern vierzehn Überweisungen noch nicht angekommen waren. Er drängte zum Aufbruch: »Raus hier, wir haben schon genug Zeit verschwendet.«
    »Wem sagst du das.«
    »Morgen wieder um neun. Nur fünf neue Grüße in alle Welt.«
    »Ich kann’s nicht erwarten.«
    Robert beeilte sich, an die frische Luft zu kommen, wo er sich gierig mit Rauch einnebelte. Mit jedem Zug erschienen ihm Lis Sonderwünsche erträglicher. Nach zwei, drei Wochen wäre der Spuk vorbei. Solche Tage gehörten einfach zu seinem verdammten Job. Trotz seiner Marotten sorgte der smarte Goldzahn für konstant gute Gewinne und satte Boni. Nicht zu vergessen: Die blauen Flecke um seine Taille, wo ihn Mei Tans wahnsinnige Beine in die eiserne Zange genommen hatten. Er zündete sich noch einen zweiten Sargnagel an, zu Ehren des Chinesen mit dem festgefrorenen Grinsen.
    Der Handel verlief ruhig, fast zu ruhig. An solchen Tagen glich der Handelsraum von ›ES&Co‹ einer Leichenhalle, wie ein englischer Kollege einmal treffend staunte. Zeit der Herbstferien, aber Robert ahnte, dass der wahre Grund der Ruhe ein anderer war. Er spürte es in den Lenden. Es war die unheimliche Stille vor dem Sturm. Beinahe zwei Stunden vergingen vollkommen ereignislos. Er hatte die lästige Sitzung in Karls Besenkammer schon verdrängt, da begann dessen Anschluss auf seiner Telefonanlage zu blinken.
    »Sind alle durch?«, fragte er ohne sonderliches Interesse. Natürlich waren die Zahlungen erledigt. Es waren schließlich nicht die ersten SWIFT-Meldungen seiner Bank.
    »Denkste«, antwortete Karl. Man hörte den Ärger in seiner Stimme. »Eine dritte zur ›Sumitomo‹ ist noch weg. Die andern stecken immer noch fest. Wollte ich dir nur sagen, falls du deinem Sponsor Bescheid geben musst.«
    Robert unterdrückte einen Fluch. Genau so etwas durfte genau jetzt nicht passieren. »Bist du sicher, dass das System in Ordnung ist?«
    »Den Strom habe ich eingeschaltet. Ja, verflucht, natürlich ist unser System in Ordnung. Trotzdem gehen diese Scheiß Zahlungen nicht raus.«
    »Warten wir eben«, murmelte er. In Gedanken legte er sich schon die vorsichtigen Worte zurecht, mit denen er Li von der unerwarteten Schwierigkeit berichten wollte. Musste – von wollen konnte keine Rede sein. Er wartete noch eine halbe Stunde in der Hoffnung, das Problem würde sich von selbst lösen, aber es gehörte nicht zu dieser angenehmen Sorte. Die Uhr zeigte zwanzig nach zwölf, zwanzig nach sechs in Macao. Eine gute Zeit, Li beim Apéro zu stören. Robert schloss sich in sein Einzelbüro ein, das er nur in seltenen Notfällen betrat, und wählte Lis Nummer.
    »Mr. Li, entschuldigen Sie. Ich hoffe, ich störe Sie nicht beim Essen«, begann er vorsichtig.
    »Ah, Mr. Bauer. Für Sie habe ich immer Zeit. Gut, dass Sie anrufen. Haben Sie die Zahlungen ausgelöst?«
    »Deswegen rufe ich an, Mr. Li. Es – gibt da eine kleine Schwierigkeit. Ich glaube, das Problem wird sich sehr schnell lösen. Aber ich wollte sie informieren.«
    »Eine gute Entscheidung. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.« Es entstand eine kurze Pause, dann fragte er lauernd: »Welches Problem?«
    »Nichts Ernstes, wie gesagt, aber bis jetzt sind erst

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