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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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und begannen über das Geschäft zu reden. Es ging um eine Reihe offenbar großer Akquisitionen. Firmenkäufe in Südamerika, den USA und Kanada. Sie mussten häufig Stellen zwei, dreimal anhören, um den Zusammenhang zu verstehen. Alex kritzelte alle wichtigen Daten, Firmennamen, Kontaktpersonen, Investitionen auf die viel zu kleinen Blätter des Notizblocks. Kopfschüttelnd sah Ryan zu, wie sie die vielen Zettel auf dem Tisch ausbreitete, um die Übersicht nicht zu verlieren. Was sie brauchten, waren nicht kleine Papierfetzen, sondern ein großes Whiteboard, wie sie es an der Uni benutzten. Die Auswertung von Lis Besprechung lieferte eine wahre Goldgrube neuer Erkenntnisse über seine Zukunftspläne.
    »Der hat’s gewusst«, sagte Alex überzeugt, nachdem sie die Besprechung in voller Länge angehört hatten.
    Ryan nickte nachdenklich. »Sieht ganz so aus.« Er zeigte auf einen Zettel und fragte erregt: »Hast du realisiert, was du hier notiert hast? ›Mountain Pass‹, Li hat sich die Mine in Kalifornien geschnappt.«
    »Wundert mich nicht. Erst lässt er sie in die Luft fliegen, dann kauft er sie für ein Trinkgeld und kontrolliert damit die größten Vorkommen Seltener Erden in den USA.«
    Ryan glaubte auch nicht an solche Zufälle. Die Bank ›Escher, Stadelmann & Co‹ hatte offenbar rund um den Globus diskret Käufe von Minengesellschaften und Verarbeitungsbetrieben vorbereitet, die begehrte Rohstoffe herstellten. Die Verhandlungen führte eine Investment-Gesellschaft, von der weder er noch Alex je gehört hatten. Mit Sicherheit eine neue Tarnfirma, die Li nur zu diesem Zweck mit dem Geld der ›Galaxy Boom Industries‹ aus dem Boden gestampft hatte. Das Kapital ließ er kurz vor dem 12. Oktober über die Bank in Zürich an lokale Partnerbanken überweisen, in Form physischen Goldes. Als hätte er genau gewusst, dass der Interbank-Zahlungsverkehr an diesem Tag zusammenbrechen würde und mit ihm der Kurs der bei solchen Geschäften üblichen Währung, des Dollars. In der aktuellen Krisensituation erstand er die strategisch wichtigen Betriebe für ein Butterbrot.
    »Perfektes Timing, dass ich nicht lache«, schnaubte Ryan. »Der Giftzwerg hat den Mega-Crash inszeniert.«
    »Der Schluss ist nicht von der Hand zu weisen«, spottete Alex. »Die Lieferung neuer Boards mit Chips aus der Fabrik in Taiwan, die er kontrolliert, hat die SWIFT-Probleme ausgelöst. Das steht wohl fest. Ziemlich genau am Tag, nachdem Li seine Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Und jetzt braucht er nur noch zu ernten. Beim aktuellen Goldpreis reicht sein Vorrat wahrscheinlich, um die halbe Welt zu kaufen.«
    Das war zwar ein wenig übertrieben, aber in der Sache musste er ihr zustimmen. Der Nachweis seiner Schuld am Desaster war so gut wie erbracht. Sie wussten nur noch nicht, wie er es angestellt hatte, den üblen Plan so virtuos umzusetzen. Darüber erfuhren sie leider nichts aus dem Gespräch mit seinem Banker. Die Aufzeichnung endete nicht mit dem Verlassen der Bank. Bevor die Worte wieder im Straßenlärm untergingen, hörten sie einen kurzen Dialog, der auf Chinesisch geführt wurde. Es war eher eine Reihe von Befehlen, die Li seinen Gorillas gab. »Kannst du etwas damit anfangen?«, fragte er Alex.
    Sie zuckte die Achseln. »Ich habe, ehrlich gesagt, nicht sonderlich darauf geachtet. Spiel es nochmals ab.«
    Während sie dem Singsang zuhörte, machte sie fleißig Notizen. Am Schluss betrachtete sie das Geschriebene skeptisch und rümpfte die Nase. »Ich werde nicht schlau daraus«, gab sie zu. »Er fragt, ob alles vorbereitet ist für den Besuch im Berg. Was soll das heißen?«
    »Im Berg?«, wiederholte er nachdenklich. »Berge gibt’s genug hier in der Gegend. Keine Ahnung, was er damit meint. Erwähnt er keinen Ort?«
    Sie hörte nochmals genau hin. »Doch, das könnte einen Ort bezeichnen«, sagte sie nach einer Weile. »Amsteg oder so ähnlich? Er sagt auch etwas von einer Stahlkammer.«
    Er fand den Ort in den Bergen mit dem Namen Amsteg schnell auf seinem Handy. »Stahlkammer, sagst du? Könnte das ein Tresor sein? Ein Tresor im Berg?« Noch während er fragte, erinnerte er sich an ein Gespräch mit dem Devisenhändler in London. Lis Gold lag nicht in einem Banktresor. »Das muss es sein!«, rief er aufgeregt. »Ein Felstresor bei Amsteg. Das ist es.«
    Sie war noch nicht überzeugt. »Könnte sein, oder auch nicht. Ohne Kontext ist er nur schwer zu verstehen. Aber vielleicht hast du recht. Wenn es einen solchen Tresor

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