Im Westen geht die Sonne unter
nichtssagende Code blieb wie eingefroren auf dem Bildschirm stehen. »Ich muss näher ran«, zischte er ärgerlich. Mit wenigen großen Schritten näherte er sich dem kurzbeinigen Chinesen soweit es möglich war, ohne seine Begleiter zu alarmieren. Er drückte verzweifelt auf dem Touchscreen herum, doch das Gerät reagierte nicht mehr.
»Mist! «, rief Alex wütend hinter ihm.
Etwas zu laut und etwas zu nahe am empfindlichen Ohr der Schlange. Die Augen der Chinesin, die Alex in Macao fürchten gelernt hatte, fixierten sie blitzschnell mit hypnotischem Blick. Ohne sich abzuwenden, zischte sie Li etwas zu. Alle drei starrten sie an.
»Scheiße, weg hier!«, rief Alex in Panik.
Sie rannte los, sprang zurück in den Schutz der Arkade, als duckte sie sich vor einem Kugelhagel. Ein scharfer Befehl aus Lis Mund war das Letzte was er hörte, bevor er ihr folgte. Er wollte geradeaus weiter, über die Brücke zum Hotel, doch sie hielt ihn zurück.
»Bist du verrückt?«, schnauzte sie ihn an. »Nicht zum Hotel. Auf die andere Seite, zum Paradeplatz, unter die Leute.«
Sie zerrte ihn hinter eine Gruppe junger Männer in dunklen Anzügen, um in ihrem Schutz die Straße zu überqueren. Er ließ es geschehen. Seine Gedanken waren immer noch bei der Fliege, die ihn so kläglich im Stich gelassen hatte. Er warf einen Blick zurück. Die Chinesin war ihnen dicht auf den Fersen. Sie folgte ihnen über die Straße, obwohl der Verkehr bereits wieder anrollte. Elegant tanzte sie um die Autos. Die Schlange nahm Witterung auf, würde nicht locker lassen. Er wollte nicht wissen, welchen Auftrag sie hatte.
»Wir müssen uns trennen«, keuchte Alex erregt.
»Auf keinen Fall. Ich werde dich nicht aus den Augen lassen.«
»Sturer Hund. Komm.«
Sie eilte ihm voraus, durch die Menschentraube, die auf die Straßenbahn wartete. Plötzlich schlug sie einen Haken und mischte sich unter das Volk, das sich in den Laden der ›Confiserie Sprüngli‹ drängte. Um die Mittagszeit, vielleicht auch sonst zu jeder Tageszeit, standen sich hier die Leute auf den Füßen. Man konnte sich im süßen Duft des Hauptquartiers der Schweizer Schokolade buchstäblich verlieren. Sie drängte ihn in den Hintergrund, schien sich hier auszukennen. Am Ende der langen Theke führte eine weitere Tür in einen Korridor und hinaus auf die Bahnhofstraße. Bevor sie aus dem Laden schlüpften, wagte er nochmals einen Blick zurück. Die Schlange stand beim Eingang, beobachtete die Schar der Kunden ohne sie zu sehen.
Er atmete auf, als sie auf dem Gehsteig standen, doch Alex drängte: »Weiter«, und rannte über die Straße. Von beiden Seiten näherten sich Straßenbahnzüge. Er zögerte. Nur einen Augenblick, aber er genügte, die bullige Silhouette an der Ecke zum Platz zu erkennen. In großen Sätzen hetzte er ihr nach. Um Haaresbreite entwischte er der Tram, die vom See her kam. Bremsen kreischten, eine Alarmglocke schrillte, Leute stoben schimpfend auseinander. Aber sie waren auf der andern Seite, außer Sicht der Verfolger. Er sah, wie Alex quer über den Platz vor der Kirche rannte. In der engen, verwinkelten Gasse, die zum Fluss führte, holte er sie ein.
»Ist das dein Plan B?«, keuchte er atemlos.
Sie ignorierte die Ironie, brummte nur: »Was denkst du denn«, und rannte weiter.
Er hatte die Orientierung verloren, aber sie schien tatsächlich zu wissen, wohin die Reise ging. Zielstrebig steuerte sie auf eine der vielen Brücken zu, die über die Limmat führten, um gleich mit einem Ausruf des Schreckens einen Haken zu schlagen.
»Da!«, stöhnte sie.
Die Schlange trat von der Brücke her auf sie zu. Gleichzeitig tauchte der Bulle aus der Gasse hinter ihnen auf. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie das geschafft hatten, aber die beiden nahmen sie regelrecht in die Zange.
Alex packte ihn am Arm, blickte ihn angsterfüllt an. »Was machen wir jetzt?«, flüsterte sie tonlos.
Ihre Angst war mehr als berechtigt, wenn er die Handbewegung des Bullen richtig deutete. »Er hat eine Waffe!«, rief er entsetzt. Keiner der Passanten reagierte. Lis Gorillas erschossen sie auf offener Straße, und niemand kümmerte sich darum? Wie vom Teufel gehetzt, zerrte er sie zu einer Gruppe Touristen, die den nahen Schiffssteg umstellten. »Aufs Boot!«, befahl er. Das Limmatschiff hatte soeben angelegt. Willenlos ließ sich Alex an den aussteigenden Passagieren vorbei dirigieren. Sie zwängten sich durch den Einstieg ins tief gelegte Boot, dessen Glaskuppel kaum über den
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