Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
Vom Netzwerk:
schüttelte langsam den Kopf. »Eindrücklich würde ich sagen. Ich werde wohl nie verstehen, wie so etwas in einem einzigen Kopf Platz hat.«
    Er lachte laut auf. »Sie unterschätzen das menschliche Gehirn, Alex.« Beinahe verloren stand sie da, blickte ihn ratlos an, schien zu überlegen, wie es weitergehen sollte. »Sie erwähnten SWIFT«, erinnerte er sie.
    »Richtig.« Sie zögerte, dann sprach sie langsam weiter, wie jemand, der sich jedes Wort sorgfältig aussucht. »Ich muss Ihnen etwas beichten. Ich war an einer ganz andern Story, als mir Ihr Artikel auffiel. Vor vier Jahren wurde ein verheerendes und bis heute nicht aufgeklärtes Attentat auf ein Bergwerk für Seltene Erden in Kalifornien verübt. Viele Leute verloren damals ihr Leben. Zur gleichen Zeit schoss der Preis von Neodym in die Höhe, und wie es aussieht, hätte ihr Modell genau diese Entwicklung vorausgesehen. Wenn man nun Rückschlüsse ziehen könnte auf die Leute, die auf diesem Preisanstieg spekuliert und von ihm profitiert haben – verstehen Sie?«
    Er hatte sofort begriffen, worauf sie hinaus wollte, als sie die Mine erwähnte. »Sie sprechen von Mountain Pass«, stellte er fest.
    »Sie erinnern sich?«, rief sie überrascht.
    »Ein – Bekannter kam dort ums Leben, deshalb werde ich den Ort nicht so schnell vergessen.«
    »Das tut mir leid.« Wieder zögerte sie, bevor sie leise fragte: »Was halten Sie von meiner Idee?«
    »Die Idee kann ich nachvollziehen. Es gibt nur ein ganz entscheidendes Problem, fürchte ich.«
    »Nämlich?«
    »Die Daten, die wir zur Verfügung haben, sind anonym. Sie lassen keine Schlüsse auf die Akteure an den Finanzmärkten zu. Es sind reine Preisbewegungen. Und an die SWIFT-Meldungen kommen wir nicht. SWIFT ist ein geschlossenes Netzwerk, sicher wie Fort Knox.«
    »Glauben Sie?« Das erste Mal seit sie sein Büro betreten hatten lächelte sie entspannt. »Ich glaube, ich kann diese Daten beschaffen.«
    Er zuckte zusammen, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. »Das ist nicht Ihr Ernst«, stieß er aus.
    »Ich habe gute Verbindungen.« Leiser Spott mischte sich in ihr Lächeln.
    Er betrachtete ihre Visitenkarte, die er immer noch in der Hand hielt und murmelte kopfschüttelnd: »Alex, Alex, wer sind Sie wirklich?«
    Sie ließ die Frage offen. Ihr Gesicht wurde ernst. »Die Vorstellung reizt Sie, nicht wahr?«, bemerkte sie.
    Reizen war ein zu schwaches Wort. Hätte er tatsächlich derart detaillierte Daten wie SWIFT-Zahlungen mit ihren eindeutigen Sendern und Empfängern zur Verfügung, könnten die statistischen Auswertungen des Modells mit wenig Aufwand auf individuelle Datenquellen abgebildet werden. Nur eine technische Herausforderung, kein wirkliches Problem, aber eine ganz neue, zusätzliche Dimension von ungeheurer Sprengkraft. In Gedanken war er schon dabei, die SWIFT-Daten zu analysieren. »Am besten wären wohl Zahlungen vom Typ 202 und 103 geeignet«, murmelte er, mehr zu sich selbst. Er kannte nur die wichtigsten Meldungstypen, aber die Zahlungs- und Deckungsanweisungen gehörten dazu.
    Ihre Antwort kam ohne Zögern. »MT202 und MT103 haben wir – ich meine – kann ich beschaffen.«
    »Sie haben sicher schon den fertigen Projektplan in der Tasche«, grinste er. Plötzlich stutzte er. »Die Idee hört sich verlockend an, aber wäre so etwas überhaupt legal?«
    »Für uns schon. Wir arbeiten nicht mit gestohlenen Daten, wenn Sie das meinen. Könnten Sie sich eine solche Zusammenarbeit vorstellen?« Bevor er Zeit hatte zu antworten, fügte sie schnell hinzu: »Es wäre der absolute Knüller, wenn dadurch die Hintergründe des Attentats von Mountain Pass aufgedeckt werden könnten.«
    »Mountain Pass – gibt’s Neues?«, fragte eine bekannte Stimme. Jessie war unbemerkt durch die offene Tür ins Büro geschlüpft. »Oh Verzeihung, störe ich?«, entschuldigte sie sich, als sie die Unbekannte erblickte.
     Ryan lachte verlegen. »Nein, natürlich nicht.« Er hatte nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verging. Es war Mittag, und Jessie erschien wie vereinbart zum Lunch. Die zwei Frauen belauerten sich schweigend, unschlüssig, ob sie lächeln oder die Krallen wetzen sollten. »Äh – darf ich vorstellen: Jessie, meine Verlobte«, sagte er zu Alex. »Jessie, das ist Alex vom ›Wall Street Journal‹. Sie interessiert sich für mein Modell.«
    Jessie gab Alex vorsichtig die Hand. Zu Ryan gewandt sagte sie: »Ich möchte wirklich nicht stören. Wenn du mit Alex zu tun hast ...« Das Wort Alex

Weitere Kostenlose Bücher