Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
Vom Netzwerk:
Metallbehälter ins Regal. Vorsichtig öffnete er die Ventile des luftdicht verschlossenen Koffers. Er wartete ein paar Sekunden, damit sich der Druck ausgleichen konnte, dann hob er den Deckel.
    »Das sind alle Originale?«, fragte Li misstrauisch.
    »Ja, alle.«
    »Es gibt keine Kopien?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wie vereinbart, Mr. Li.« Was sich im Koffer befand war die Frucht seiner ganzen Arbeit in der Elektronikfabrik in Hsinchu. Ohne diese Unterlagen konnte nicht einmal er selbst nachvollziehen, was er über all die Jahre entwickelt hatte. Er rastete den Deckel in eine Position, die den Luftaustausch gewährleistete, ohne unerwünschtes Licht einzulassen. »Fertig«, sagte er und wandte sich zum Ausgang. Li strahlte wie ein stolzer Junge, der zum ersten Mal ans Steuer von Vaters Auto durfte, als er den Knopf drückte, um die Panzertür zu schließen.
     
    Anacostia, Washington DC
     
    Auf der Liste der zehn Dinge, die Bob nie im Leben tun wollte, befand sich das, was er gerade tat, ziemlich weit oben. Er war unterwegs zu einer dringenden Sitzung ins Hauptquartier des unausstehlichen Department of Homeland Security. Freiwillig. Schlimmer: er hatte die Sitzung einberufen, und er hasste sich dafür. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Handelte er nicht sofort, lief nicht nur die NSA, sondern der ganze Geheimdienstapparat Gefahr, dass ihnen einmal mehr unvorbereitet strategisch wichtige Fabriken um die Ohren flogen. Dann wäre es nicht nur mit seiner Karriere und Pension vorbei.
    Diesmal saß er pünktlich im Sitzungszimmer. Das gleiche, noch immer nach Farbe stinkende Zimmer, in dem die gleichen Leute vor vier Jahren das Mountain Pass Desaster besprochen hatten. Na ja, fast die gleichen Leute. Der schnelle Pete Miller hatte Karriere gemacht. Er leitete die Sitzung. Seinen ehemaligen Boss Ken Brown hatten sie wegbefördert, auf einen Posten, wo er noch weniger Schaden anrichten konnte. Schade, dachte Bob, seinen Lieblingsfeind Ken hatte er mit wenigen Ganglien in Schach gehalten. Beim Schnellredner Pete war das aufwendiger.
    »Also Leute, lasst uns anfangen«, sagte Miller und wartete ungeduldig, bis Ruhe einkehrte. »Die NSA hat uns gerufen. Hier sind wir, vollzählig wie ich sehe. Bob, bitte.«
    Bob räusperte sich. »Danke, dass es so schnell geklappt hat. Ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden. Wir sind auf eine Sache gestoßen, die uns große Sorgen macht, und die insbesondere unsere Freunde vom Büro interessieren wird.« Dabei schielte er zum Vertreter des FBI hinüber. Der Mann zeigte ehrliche Neugier. »Wir haben eine neue Methode zur Verfügung, um das Börsengeschehen zu analysieren. Nun gibt es eindeutige Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Rohstoffhandel, die auf ein unmittelbar bevorstehendes Großereignis hindeuten.«
    Die Leute wurden unruhig. »Was soll das sein? Um welche Rohstoffe geht es?«
    »Lithium.« Er wartete, bis das Gemurmel abklang. »Heute bestehen praktisch alle Akkus, vom Handy bis zur Stromversorgung in Kampfjets, aus Lithium. Unser Modell rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von achtzig Prozent, dass eine Lithium-Preisblase in den nächsten drei Wochen platzen wird. Das allein wäre kein Grund für eine solche Sitzung. Es ist vielmehr das Muster dieser Preisentwicklung, das uns Sorgen macht. Wir alle haben genau das gleiche Muster schon einmal gesehen, obwohl wir es damals nicht erkannt haben.« Er legte eine Pause ein, um den folgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Vor vier Jahren ging es um die Preise von Neodym, und am Ende der Entwicklung erlebten wir die Katastrophe von Mountain Pass.«
    Für kurze Zeit herrschte betretenes Schweigen, dann begannen alle gleichzeitig zu reden. Miller musste eingreifen. Er sprang auf und brüllte:
    »Ruhe, Leute! Einer nach dem andern, bitte.«
    Er setzte sich erst wieder, als Bob weitersprechen konnte. »Bevor jemand fragt«, fuhr er ruhig fort, »wir wissen auch erst seit zwei Tagen davon, erstens. Und zweitens will ich, dass Sie mich richtig verstehen. Nicht einmal die NSA kann die Zukunft vorhersagen. Wir wissen nicht, was da auf uns zukommt. Wir wissen nur, dass es passieren wird und zwar schneller als uns lieb ist.«
    »Verflucht«, polterte Miller, ganz im Stil seines Vorgängers. »Wollen Sie, dass der Präsident den gottverdammten Notstand ausruft?«
    »Quatsch«, knurrte der Mann vom FBI laut genug, dass ihn alle hörten.
    Bob liebte diesen Kerl. Er gehörte zur Minderheit der Vernünftigen im Raum. Seine

Weitere Kostenlose Bücher