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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Lizenzvertrag mit der NSA hatte insgesamt eine Million US Dollar in seine Kasse gespült. Wenn der rapide Zerfall des Pfundkurses so weiterging, wäre er bald auch Pfund-Millionär. Er gewöhnte sich nur langsam an den Gedanken, sein eigenes Geld sinnvoll anlegen zu müssen, statt Planspiele mit seinem Modell zu spielen. Jetzt war es an ihm, seiner eigenen Software zu trauen, und es fühlte sich gar nicht gut an. Trotzdem ließ er sich vom distinguierten Direktor Sanger nicht zu einem Verwaltungsauftrag für sein dickes Depot überreden. Ein ›Rundum-Sorglos-Paket‹ wollte ihm der Mann verkaufen, und das mit der falschen Software. Sangers Enttäuschung war nicht zu übersehen, als er dabei blieb, seinen unerwarteten Reichtum selbst zu verwalten und überdies massiv in Edelmetall zu investieren.
    »Glauben Sie nicht auch, Mr. Cole, dass die Goldblase bald platzen muss? Der Preis kann doch kaum noch weiter steigen.«
    »Warten wir’s ab, Mr. Sanger.«
    Er ließ einen einigermaßen verstörten Direktor zurück, als er eilig die Bank verließ. Der unangenehme Teil seines Besuchs in der alten Heimat war erledigt. Jetzt folgte der schwierige. Jessie verleugnete sich noch immer, aber er würde Weymouth nicht verlassen, bevor sie ihm wenigstens fünf Minuten zugehört hätte. Sein Geld würde sie nicht umstimmen, das wusste er. Soviel Charakter hatte sie. Aber Geld öffnete Türen. Zum ersten Mal in seinem Leben betrat er ein Juweliergeschäft. Tausendmal war er die Saint Mary Street hinauf und hinunter geschlendert, die Straße, an der auch der Pub lag, in dem sie arbeitete. Nie aber hatte er auch nur einen Blick in die Schaufenster solcher Geschäfte geworfen. Warum auch? Ihn wunderte höchstens, weshalb es gleich mehrere Juweliere an dieser Straße brauchte. Nachdem er die Auswahl des ersten Ladens kannte, wusste er es. Beim zweiten Versuch hatte er Glück. Die Ringe waren kleine Kunstwerke, das musste auch sein nüchterner Verstand anerkennen. Achtzehn Karat Weißgold, fein ziseliert, mit unaufdringlichen Diamanten besetzt, die im rechten Licht strahlten wie die Augen seiner Jessie. Schön sahen sie aus, nicht zu protzig. Sie verhüllten ihren Preis diskret mit sprödem Charme. Ohne mit der Wimper zu zucken, blätterte er die zweitausend Pfund auf den Tisch und beeilte sich, den bewundernden Blicken des Personals zu entkommen.
    Kurz nach der Mittagszeit saßen nur wenige Gäste an den Holztischen vor dem ›Black Dog‹. Er trat zögernd in die Gaststube, bereit, sofort zu reagieren, sollte sie ihre scharfen Krallen ausfahren. Kaum zu glauben, dass sie erst vor kurzer Zeit hier ausgelassen Verlobung gefeiert hatten. Diesmal fehlten wenigstens die Ringe nicht. Jessie war nirgends zu sehen. Es herrschte gähnende Leere im Lokal. Nur einer ihrer Kollegen, der alte Mortimer, schlurfte hinter dem Tresen hervor.
    »Ryan, altes Haus«, grinste er. »Dass du dich hier blicken lässt?«
    Er hätte es wissen müssen. In seiner kleinen Stadt blieb keine Krise lange privat. »Wo ist sie?«, fragte er nur.
    »Ich hoffe, du hast ein paar gute Argumente. Was zum Teufel hast du mit ihr angestellt? Jedes Mal, wenn dein Name fällt, ist sie gleich an der Decke.«
    »Wo?«, wiederholte er ungeduldig. Er hatte keine Lust, sich Morts Kommentare anzuhören. Sein Hirn war ohnehin ausgelastet mit der schwierigen Vorbereitung ihrer Begegnung.
    Mortimer zuckte die Achseln. »Zu Hause vielleicht. Sie hat erst am Abend wieder Dienst.«
    Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und eilte hinaus. Anrufen war zwecklos, sie würde nicht antworten. Trotzdem versuchte er es nochmals auf dem Weg zu ihrem Elternhaus. Beim ersten Wort ihrer Mailbox-Ansage unterbrach er die Verbindung deprimiert. Sein schöner Plan zur Versöhnung kam ihm mit einem Mal reichlich einseitig vor. Was, wenn es wirklich vorbei war? Undenkbar. Er wischte den furchtbaren Gedanken beiseite. Seine Verhandlungsposition war auch so nicht die stärkste. Er erinnerte sich sehr genau an den schwachen Moment im Hotelzimmer bei Fort Meade, in dem leicht alles hätte passieren können, hätte nicht die kluge Alex gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen. Die Erinnerung war schlimm genug, ausgerechnet jetzt auf seinem Canossagang. Vollends verunsicherte ihn jedoch, dass es eine ausgesprochen angenehme Erinnerung war. Er verstand sein Verhalten selbst am allerwenigsten. Die chemische Fabrik in seinem Körper produzierte Hormone, die offensichtlich nicht wussten, was sie wollten und nur

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