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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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beste Beweis, dass wir es mit einer echten Krise zu tun haben. Das ist auch die Meinung der Bank of Japan, wie mir Kutazawa-San eben bestätigt hat. Noch nie in der modernen Wirtschaftsgeschichte gab es so etwas. Alle Hauptwährungen stehen gleichzeitig unter einem gewaltigen Verkaufsdruck. Investiert wird bald nur noch in Öl und Gas, Edelmetall, Commodities aus Australien und ›BRIC‹-Staaten. Ich gehe davon aus, dass Ihnen diese Entwicklung ebenso Sorge bereitet wie uns.«
    Die Europäische Zentralbank nickte nur lächelnd, doch Sir David Goodrich sagte wie gewohnt, was er dachte: »China diversifiziert.«
    »Das haben Sie schön gesagt, David.«
    Sie hätte es selbst nicht prägnanter zusammenfassen können. Der asiatische Wirtschaftsmotor traute dem Dollar nicht mehr, obwohl seine Währung aus praktischen Gründen noch immer an den Dollar gekoppelt war. China hatte in den letzten Tagen und Wochen massenhaft Dollar-Reserven abgebaut, US Staatsanleihen, Treasury Bonds verkauft und mit den Dollars Beteiligungen in Brasilien und Australien ausgebaut, und wie sie vermutete, Öl und Goldreserven aufgestockt. Es sah nun danach aus, dass sich diese Geschichte ganz ähnlich auch im Einflussbereich ihrer Gäste wiederholte.
    Holger Schliemann gab seinen ersten Kommentar ab, freundlich lächelnd aber bestimmt: »Ich nehme an, wir sind nicht hier, um uns über China zu beschweren.«
    »Richtig«, entgegnete Grace spitz. Sie fühlte sich nicht zum ersten Mal provoziert von Holgers betont lockerer Haltung. »Aber wir sollten uns schleunigst überlegen, was wir gegen diese Politik unternehmen wollen. Ich meine, das geht nur gemeinsam.«
    »Das sind ja ganz neue Töne.«
    »Sie haben recht, Grace«, warf ihr englischer Kollege ungeduldig ein. »Wir können uns nicht leisten, die Zinsen in immer kürzeren Abständen nach oben zu schrauben. Damit heizen wir nur die Inflation an und treiben die Wirtschaft in eine neue Rezession.«
    Holger Schliemann schüttelte entschieden den Kopf. »Dramatisiert ihr die Lage nicht zu sehr? Niemand glaubt doch an eine nachhaltige Flucht Chinas in Rohstoffe und Sachwerte. Das kann sich keine moderne Volkswirtschaft leisten. Ich schätze, wir haben es eher mit einer vorübergehenden Verunsicherung zu tun, oder mit einem politisch motivierten Manöver. Wir sollten nicht überreagieren.«
    Grace platzte der Kragen. »Von Überreaktion kann keine Rede sein«, schnauzte sie giftig und eine Spur zu laut. »Es dürfte kein Geheimnis sein, dass auch wir mit unserer Zinspolitik kaum mehr Spielraum haben.«
    »So ist es«, pflichtete Sir David bei.
    Die Europäische Zentralbank war ausnahmsweise in einer komfortableren Lage, alle am Tisch wussten das. Holger Schliemann beschränkte sich denn auch darauf, weiter den satten Säugling zu markieren.
    »Möglich, dass sie die Ablösung des Yuan vorbereiten«, meinte Sir David.
    Er sprach endlich aus, was sie seit langem beschäftigte. Einerseits war längst überfällig, dass die chinesischen Währungshüter die künstliche Bindung an den Dollar aufgaben. Die Währung eines Landes stellte ja nichts anderes als die neutrale Bewertung einer Volkswirtschaft dar. China und die USA entwickelten sich in allzu verschiedene Richtungen, als dass eine solche Kopplung auf die Dauer gut gehen konnte.
    »An sich wäre ein frei floatender Yuan natürlich eine gute Idee«, antwortete sie nachdenklich. »Was mich irritiert, sind nur die Begleitumstände, die das Manöver einleiten. Sofern unsere Vermutung zutrifft.«
    Holger Schliemann war nicht überzeugt von der These. »Nehmen wir nur einmal an, es wäre soweit. Was könnten wir dagegen unternehmen? Wir glauben doch nach wie vor an den freien Markt.«
    »Das ist genau das Dilemma«, musste Grace zugeben. »Wir wünschen diesen Schritt von China, aber wir können nicht zulassen, dass er allein auf unsere Kosten geht. Und vorderhand sieht es genau danach aus.«
    »Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole«, lächelte der Deutsche, »was wollt ihr dagegen tun?«
    »Um das herauszufinden sind wir hier, Holger.«
    »Wir müssen auf dem Devisenmarkt intervenieren«, stellte Sir David lapidar fest.
    Sie nickte stumm. Soweit war sie auch schon. Sie mussten den Dollar stützen, ohne die Zinsen zu erhöhen. Also hatten sie bereits vor Wochen damit begonnen, gigantische Goldbestände im boomenden Markt zu verkaufen und im Gegenzug Dollar aufzukaufen. Mit fragwürdigem Erfolg.
    »Ich kann Ihnen nur alles Gute wünschen«, murmelte

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