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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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angestrengt überlegte. Es war an der Zeit, sie auf sein eigenes, kleines Zusatzprojekt aufmerksam zu machen, bevor sie sich in ein neues Abenteuer stürzte.
    »Viel einfacher ist das, was wir vorhin besprochen haben«, fügte er schmunzelnd hinzu.
    »Sicher. Tu, was du nicht lassen kannst. Ich muss sowieso jetzt Bob informieren.«
    Nachdem sie gegangen war, skizzierte er auf dem Whiteboard, was das Team als nächstes zu tun hatte.
     
    Am folgenden Morgen war Alex eine gute Stunde früher unterwegs als sonst. Ein Anruf aus der Fabrik hatte sie um fünf Uhr aus dem Bett getrieben. Was sie im Halbschlaf von Max hörte, war so unfassbar, dass sie schlagartig hellwach wurde, als hätte er sie mit eiskaltem Wasser übergossen. Ein paar von ihren Leuten hatten die Nacht durchgearbeitet, um Ryans Modell mit aktuellen Daten zur Lage auf den Devisen- und Edelmetallmärkten zu füttern. Das Resultat verblüffte nicht nur Max über alle Maßen. Verwirrt und erregt wie ein Teenager nach überraschendem Sex im Hinterhof der Disco machte sie sich in Windeseile zurecht und fuhr los. Um halb sieben stand sie klopfenden Herzens vor Ryans Hotelzimmer. Die Sache duldete keinen Aufschub. Noch einmal kontrollierte sie Gesicht und Haare im Spiegel ihres silbernen Telefons, dann pochte sie entschlossen an die Tür. Nach dem zweiten Versuch hörte sie Ryans verschlafene Stimme:
    »Was ist los?«
    Die Tür öffnete sich. Er streckte seinen Kopf durch den Spalt. Wirres Haar, Stoppelbart, die Augen geschlossen. Gähnend fragte er:
    »Brennt’s?«
    »Aufwachen, ich bin’s.«
    Lachend drückte sie die Tür auf und schlüpfte ins Zimmer. Wie zur Salzsäule erstarrt stand er vor ihr, in Shorts und sonst gar nichts. Sie stieß ihn sanft zurück zum Bett. »Setzen, zuhören!«, befahl sie und zeigte dabei ihre weißen Zähne, dass er wortlos gehorchte. »Du wirst nicht glauben, was ich dir zu sagen habe.«
    Er schüttelte nur langsam den Kopf und rieb sich die Augen.
    »Es ist die gleiche Bank«, platzte sie aufgeregt heraus.
    Er fand endlich die Sprache wieder, murmelte verlegen grinsend: »Guten Morgen.«
    »Verstehst du nicht? Die gleiche Bank«, wiederholte sie ungeduldig.
    »Wovon sprichst du?«
    »Gott, bist du begriffsstutzig heute Morgen.«
    Sie versetzte ihm einen freundlichen Stoss vor die Brust. Er fiel rücklings aufs Bett und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen. Um seine halb geschlossenen Augen bildeten sich feine Fältchen. Der Mund zuckte. Ein untauglicher Versuch, sein Grinsen zu unterdrücken. »Hör auf mit dem Theater«, drängte sie. »Es ist wirklich wichtig.«
    »Darf ich mir wenigstens etwas anziehen?«
    »Nein, gefällt mir so. Hör einfach zu. Meine Leute haben die ganze Nacht geschuftet, um dein Modell mit den Devisenkursen, Edelmetallpeisen und SWIFT-Meldungen der letzten zwei Monate durchzurechnen. Ergebnis: die gleiche Zürcher Bank steckt hinter der Goldpreis-Hausse wie vor vier Jahren vor dem Attentat im Bergwerk. Zusammen mit ein paar weiteren Mitläufern aus Zürich, Frankfurt und vor allem London.«
    »London – wer?«
    »Siehe da, er ist erwacht«, schmunzelte sie, während sie versuchte, nicht dauernd auf seine gestreiften Shorts zu starren. »Die ›Global Trust Bank‹ in London steht ganz oben auf der Liste. Bunkert massiv physische Goldbestände, wie es scheint.«
    »›GLT Bank‹«, murmelte er nachdenklich. »Die kenne ich gut. Ein Studienkollege macht dort gerade Karriere im Devisenhandel.«
    »Wie praktisch.«
    Er hatte nichts Verschlafenes mehr an sich. Seine Stimme klang besorgt, als er fragte: »Weißt du, was das bedeutet?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Nichts Gutes auf jeden Fall.«
    »Das kannst du laut sagen. Wie ihr jetzt auch gesehen habt, steuert das Edelmetall auf ein wesentlich höheres Preisniveau zu. Gleichzeitig fallen Dollar, Pfund und Euro auf ein Rekordtief. Diese Märkte sind so groß, dass sie unmöglich eine der kleineren Schweizer Banken aus eigenen Mitteln bewegen kann. Um diesen Markt zu ›cornern‹, muss ein Investor oder eine Gruppe am Werk sein, die ohne weiteres hunderte Milliarden locker machen können und über riesige Kredite verfügen. Würde mich nicht wundern, wenn sie auch für die Aufregung ums Lithium gesorgt hätten. Vielleicht war die Lithium-Blase nur ein Ablenkungsmanöver, oder ein Test. Alex, diese Leute führen Krieg, und zwar jetzt, in dieser Minute.«
    So deutlich hatte sie das nicht gesehen, aber was er sagte, klang plausibel – und beängstigend.

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