Im Westen geht die Sonne unter
sie. »Vielleicht funktioniert der Kauf der eigenen Währung bei Pfund und Euro besser als bei uns.«
»Die Chancen stehen genau gleich schlecht«, bemerkte Holger Schliemann ruhig. »Wir werden uns auf jeden Fall zurückhalten.«
»Keine Intervention?«, riefen beide Gesprächspartner gleichzeitig.
Er schüttelte den Kopf. »Das heißt aber nicht, dass wir untätig bleiben. Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, der Ursache dieser Unruhe auf den Grund zu gehen.«
Grace verstand nichts mehr. »Waren wir uns nicht eben noch einig über die Verursacher?«, fragte sie verblüfft und verärgert zugleich. Wie es aussah, übten sich die Europäer einmal mehr in vornehmer Zurückhaltung. Sie hasste diesen fatalen Hang zur Untätigkeit.
»Wir haben ganz andere Signale erhalten«, antwortete der Deutsche ruhig. »Unsere Finanzaufsicht hat klare Hinweise, dass der Gold-Hype und die Devisen-Turbulenzen von Banken in der Schweiz und England ausgehen könnten. Aber das haben eure Spione sicher auch schon festgestellt.«
Sie war sprachlos. Es kam nicht oft vor, dass sie in einer Sitzung den Boden unter den Füssen verlor. Aber Holgers letzte Bemerkung traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Sie kannte den Deutschen. Niemals hätte er einen solchen Verdacht geäußert, wenn nicht harte Tatsachen dahintersteckten. Warum zum Teufel wusste sie nichts davon? Um ihre Erregung zu verbergen, griff sie zur Wasserflasche und goss sich ein Glas ein. Es fehlte nicht viel, und ihr Gesicht wäre rot angelaufen. Rot aus Scham, kalt erwischt worden zu sein. Noch röter aus Wut über das klägliche Versagen ihres Informationssystems. In Gedanken erwürgte sie jeden einzelnen ihrer Mitarbeiter, langsam, qualvoll und mit Wohllust.
»Wir nahmen diese Geschichte bisher nicht ernst«, murmelte sie undeutlich.
Den Rest der Sitzung verbrachte sie im Wesentlichen damit, sich genau zu überlegen, wen sie zuerst kräftig in den Arsch treten wollte.
Fort Meade, Maryland
Kaum hatte Alex ihr Handy ans Netzgerät gesteckt, fiel ihr wieder ein, was sie am Kiosk vergessen hatte. Sie brauchte frische Batterien. Kein ernstzunehmender Ersatz für einen Kerl wie Ryan, aber immerhin. Nach den turbulenten Tagen in der fensterlosen Fabrik erschien ihr das großzügige, helle Büro neben Bobs Königreich wie das wahre Verließ.
»Du gewöhnst dich besser schnell wieder daran«, schlug sie ihrem Spiegelbild im Fenster vor.
Sie war zur alten Routine zurückgekehrt. Die Tage verliefen in den gewohnten Bahnen, und doch war alles anders. Sie hatte gehofft, die Motivation würde nach ein paar trostlosen Tagen wieder zurückkehren, doch die dachte offenbar nicht daran. Sie brauchte dringend Ablenkung, oder besser, eine neue Aufgabe, die ihr keine Zeit für trübe Gedanken ließ. Ohne Begeisterung rief sie Max an.
»Gibt’s heute gute Nachrichten?«, fragte sie kurz. Es hörte sich an wie ein Vorwurf, und Max reagierte entsprechend:
»Sie ist heute aber wieder ausgesprochen gut drauf.«
»Du sagst es. Also?«
»Wenn du deinen Computer einschalten würdest, statt unschuldige Kollegen anzuschnauzen, wüsstest du die Antwort.«
Damit war die Unterhaltung für ihn erledigt. Verwundert lauschte sie dem Summton, bevor sie auflegte. Sobald der Bildschirm zum Leben erwachte, begriff sie, was Max an ihrer simplen Frage gestört hatte. Seine Mail war die Antwort. Mehr als das. Die Nachricht zauberte ein sonniges Lächeln auf ihr Gesicht. Der moralische Kater war wie weggeblasen. Max und seine Computerspezialisten retteten nicht nur ihren Tag, dessen war sie sicher, als sie fertig gelesen hatte. Schnell tippte sie einen kurzen Kommentar und sandte ihn mit der wunderbaren Mail an Bob. Sie wartete nicht auf die Antwort des Chefs, stürmte aus ihrem Büro, klopfte an seine Tür und trat sofort ein, wie sie es immer tat.
Er stand reglos mit rotem Kopf und dem Telefonhörer am Ohr an seinem Pult. Der Blick, den er ihr zuwarf, hätte jeden, der ihn nicht kannte, sofort wieder hinausgetrieben. Sie verstand ihn als Aufforderung, den Mund zu halten und die Ohren zu spitzen. Angeekelt legte er den Hörer auf den Tisch und schaltete die Freisprechanlage ein.
»Verflucht, was sage ich jetzt Grace? Kannst du mir das mal erklären, Bob?«, schimpfte eine aufgeregte männliche Stimme, die sie nicht kannte.
»Grace – wer?«, fragte Bob gefährlich leise.
»Du weißt ganz genau, von wem ich rede. Dr. Grace E. Thompson, Präsidentin der ›Fed‹-Gouverneure.«
»Das E
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