Im wilden Meer der Leidenschaft
unberechenbar.
Und doch hatte Bianca eine ungute Vorahnung, als sie dort im halbdunklen Schiffsbauch stand und er ihre Hände hielt. Irgendetwas stand bevor, etwas, das den hellen Schleier, in den sie sich eingesponnen hatten, zerreißen würde.
Wieder erschauerte sie, und Balthazar sah sie fragend an. „Dir ist kalt“, sagte er.
„Nein, ich habe bloß …“
„Natürlich muss dir kalt sein, wenn du hier in diesem feuchten Loch herumstehst.“ Er nahm ihren Arm und zog sie hinüber in die Nähe des nun leeren Eintopfkessels. Ohne Widerrede ließ Bianca sich von ihm eine mehr oder weniger trockene Decke geben, die er dort gefunden hatte und ihr über die Schultern legte. Er nahm ihre kalten Finger zwischen seine Hände und rieb sie so lange, bis sie ihre eiskalten, tauben Fingerspitzen wieder spürte.
Das Gefühl einer unguten Vorahnung war so schnell wieder verschwunden, wie es sie angeflogen hatte, und sie war einfach nur müde und ausgelaugt. Sie sehnte sich danach, sich an Balthazar zu schmiegen, mit ihm einzuschlafen und stundenlang zu schlafen, bis sie sich wieder warm und sicher fühlte.
„Dir muss kälter sein als mir“, sagte sie und versuchte, die Decke abzustreifen, um sie ihm zu geben. „Du warst die ganze Zeit oben an Deck.“
„Ich bin daran gewöhnt“, erwiderte er. Er zog die wollene Decke dichter um ihren Körper, strich ihr die nassen Locken aus dem Gesicht und fuhr sanft mit einer Fingerspitze über ihre Wangenknochen, ihre Nase und ihre Augenbrauen. Seine Finger waren schwielig, aber seine Berührung behutsam und zärtlich, als er jede einzelne Sommersprosse auf ihrer Nase liebkoste. „Ich bin jetzt ein abgehärteter alter Seebär, weißt du. Wer hätte das damals in Venedig gedacht?“
Bianca blickte zu ihm auf, wie gebannt von seinen Berührungen. „Ich.“
Fragend hob er die Augenbrauen und legte die Hände auf ihre Schultern. Sogar durch die Decke und den Stoff ihrer Kleidung spürte sie seine Wärme.
„Wirklich, Bianca?“, fragte er. „Oder hast du mich einfach für den verwöhnten, faulen Sohn von Ermano Grattiano gehalten, der zu nichts nutze war, als Besorgungen für seinen Vater zu erledigen und dessen Münzen auszugeben?“
„Vielleicht dachte ich das am Anfang“, gab sie zu. „Aber das war, bevor ich je mit dir geredet hatte, bevor du mir von deinen Büchern erzählt hast. Da wusste ich, dass du nicht der warst, für den dich alle hielten. Dass du mehr in dieser Welt erreichen würdest.“
„Die meisten Menschen würden sagen, mehr zu sein als ein reicher Patrizier in Venedig, sei unmöglich.“
„Zum Glück sind wir nicht die ‚meisten Menschen‘.“
Balthazar lachte. „Offensichtlich nicht. Denn hier sind wir nun, so weit von Venedig entfernt, wie es nur möglich ist.“
„Vermisst du es? Dein früheres Leben? Den großen Palazzo, die elegante Kleidung, die Bankette?“
„Überhaupt nicht. In Venedig war ich ein Niemand. Nur mein Name zählte.“
„Und hier?“
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln und lehnte sich gegen eine hohe Taurolle. „Hier bin ich immer noch ein Niemand. Kein menschliches Wesen kann über das Meer triumphieren. Aber zumindest bin ich ein Niemand, der sein Leben selbst bestimmen kann.“
Und Bianca konnte sehen, dass er dank dieser gradlinigen Selbstbestimmung ein fast mythisches Ansehen in diesem harten und erbarmungslosen Teil der Welt errungen hatte. Seeleute anderer Schiffe fürchteten ihn; seine eigenen Männer respektierten ihn und würden alles für ihn tun. Sie verstand dieses brennende Verlangen nach Freiheit, nach der Bestimmung des eigenen Schicksals; danach, mit geblähten Segeln die Meere zu durchqueren.
Doch wie lange konnte dieses Leben andauern? Und welchen Platz konnte sie hier einnehmen, wenn überhaupt?
Bevor sie etwas erwidern konnte, ging ein plötzlicher Ruck durch die Calypso , die in den letzten Minuten relativ ruhig im Wasser gelegen hatte. Sie hielt den leeren Kessel fest, bevor er umfallen konnte, und das Lachen und die Musik um sie herum verstummten. Das Schiff neigte sich wieder mit einem lauten Knarren, und von Neuem lief Wasser, jetzt in einem steten Fluss, durch die Ritzen ins Innere hinein.
Der Sturm hatte an Stärke zugenommen.
„Bleib hier“, rief Balthazar ihr zu. Er stieg hinauf zur Luke, öffnete sie und verschwand wieder in die Dunkelheit und den Regen auf Deck. Mehrere seiner Männer folgten ihm, und die, die unten blieben, versammelten sich in Biancas Ecke.
Sie zog die
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