Im wilden Meer der Leidenschaft
konnte sie die Kraft seines Körpers spüren.
Sie streichelte sanft über seine Schulter und hinterließ ein fedriges Muster auf seinem Oberkörper. Unter der Berührung ihrer Fingerspitzen streckte er sich wie der träge, mächtige Tiger, als den sie sich ihn vorstellte. Schon in Venedig, verhüllt unter seinen eleganten Kleidern, hatte sie die kaum verhaltene Stärke in ihm erkannt. Diese gefährliche Mischung aus Kraft und Zorn, die sie als junges naives Mädchen so sehr fasziniert hatte.
Und noch immer faszinierte.
Sie sehnte sich danach, seine Gedanken und sein Herz zu ergründen. Wollte verstehen, was ihn hierher geführt hatte, was er wirklich wollte. Sie kannte jeden Zoll seines Körpers. Doch nun wollte sie mehr.
Und Bianca wurde klar, dass sie, um das zu erreichen, über ihren Schatten springen und im Gegenzug auch ihr eigenes Herz öffnen musste.
Sie riss die Augen auf und starrte hinauf in den blassblauen Himmel und zu den Vögeln, die über ihr flatterten. Sie spürte plötzlich einen Druck auf ihrer Brust und schnappte nach Luft. Als habe er ihre plötzliche Anspannung gespürt, setzte Balthazar sich auf, und ihre Hand glitt von seiner Schulter.
„Bianca?“, sagte er leise, als fürchte auch er, die Stille zu brechen und das zarte Gefühl friedlicher Vertrautheit zu zerstören.
Sie drehte den Kopf und sah hinüber zum Wasserfall, um seinem Blick auszuweichen.
„Du hast mich einmal gefragt, was damals in Venedig vorgefallen ist“, begann sie. „Nein, gefragt hast du mich nicht. Du stellst überhaupt nie Fragen. Vielleicht bist du tatsächlich ein allwissender Meeresgott und hast es nicht nötig, neugierig zu sein!“
Er lachte und streckte sich neben ihr in all seiner göttlichen Nacktheit aus. „Wenn ich wirklich allwissend wäre, dann wäre ich niemals in diesen Sturm in der Mona–Passage geraten. Ich bin so neugierig wie jeder andere Mensch. Aber ich habe zu viele eigene Geheimnisse, um meine Nase in die anderer Leute zu stecken.“
„Ich weiß noch, dass du in Venedig in aller Munde warst. Den lieben langen Tag wurde über dich geredet und spekuliert.“
„Was für eine Zeitverschwendung. Dabei habe ich nie etwas auch nur annähernd Interessantes unternommen.“
„Das glaube ich dir nicht.“ Sie drehte sich zu ihm um, stützte den Kopf in die Hände und sah auf ihn hinunter. Die Sonne warf goldene Strahlen in sein Gesicht und tauchte den Bart, den er seit Neuestem trug, in ein helles Licht über seiner straffen Haut. Scheinbar unbeteiligt schaute er zu ihr auf, doch sie konnte seinen dunklen, eindringlichen Blick mittlerweile deuten. Hinter seiner lässigen Sorglosigkeit war er immer auf der Hut, und nichts entging ihm.
„Wenn ich eigentlich meine Näharbeiten erledigen oder Wasser holen sollte“, fuhr sie fort, „hörte ich stattdessen dem Geschwätz der Frauen zu. Ich bezweifle, dass du jemals einen uninteressanten Tag in deinem Leben hattest. Jedenfalls wurden immer neue Geschichten über dich erzählt.“
„Und trotzdem hast du mit mir geredet“, sagte er mit einem unergründlichen Lächeln. „Du musst sehr mutig gewesen sein.“
„Oder sehr töricht.“ Bianca streckte ihre Hand aus, als wolle sie seine Schulter berühren, doch dann ließ sie sie wieder in den feuchten Sand fallen. Noch nicht. „Ich habe dem Klatsch und Tratsch keinen Glauben geschenkt. Ich wollte einfach nur mit dir zusammen sein und dir zuhören. Wollte von all den neuen Sachen erfahren, über die du gelesen hattest. Doch dann …“
Sie brach ab und wusste nicht, wie sie fortfahren sollte. Sie hatte nie über die Vergangenheit sprechen können und sie in den hintersten Winkel ihrer Seele verbannt, sodass sie nie wirklich existiert zu haben schien. Bis Balthazar von Neuem in ihr Leben trat.
Er schien ihren inneren Aufruhr zu spüren, schien zu fühlen, dass der harte Knoten in ihr sich zu lösen begann. Er stand auf, um nach ihren Kleidern, die in einem zerknüllten Haufen am Ufer lagen, zu greifen. Er warf ihr ihr Unterkleid zu und zog sich seine Hose über. Nachdem er sie zugeschnürt hatte, setzte er sich wieder neben sie, doch nicht so nahe, dass er ihre Gedanken durcheinander brachte.
Bianca zog sich das Kleid über den Kopf und drückte den dünnen Stoff wie eine schützende Rüstung um sich. „An diesem besagten Tag in Venedig, dem Tag, als wir uns das letzte Mal sahen, geschah etwas Schreckliches. Dein Vater hat meine Mutter umgebracht.“
Sie hatte nicht vorgehabt, dies so brutal
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