Im wilden Meer der Leidenschaft
verkriechen konnten.
„Eine Zeitlang schon“, sagte er und lachte. „Es stimmt zwar, dass ich meine Familie nur selten sehe, aber wenn ich mich nie mehr blicken ließe, würden sie sich vielleicht doch Sorgen machen.“
Bianca schloss die Augen bei diesen Worten. Seine Familie . Musste sie sich nun der Wahrheit stellen, die sie eigentlich gar nicht erfahren wollte? Der sonnige und heiße Tag erschien ihr mit einem Mal grau und kühl.
„Deine Familie?“, wiederholte sie und dachte dabei an die Zeichnung. „Du hast Kinder?“
„Nicht, dass ich wüsste! Ich meine meinen Bruder, seine Frau und ihre Kinder. Sie haben zwei Söhne und eine kleine Tochter, die ich noch nicht gesehen habe. Ich soll sie nächstes Jahr besuchen, damit wir über Marcus’ neue Geschäftsideen reden können.“
Und diese wenigen Worte genügten, damit das Sonnenlicht zurückkehrte. Bianca lachte und fühlte sich zugleich glücklich und unsagbar töricht. Er war nicht verheiratet! Wie hatte sie nur eine Sekunde lang glauben können, er habe eine Familie? Wie hatte sie nur Angst davor haben können, ihn danach zu fragen?
„Hast du vor, Seekarten zu zeichnen?“, fragte sie. „Und dich in der alten Welt niederzulassen?“
„Findest du es so eine komische Vorstellung, dass ich ein Kartengeschäft in Sevilla oder in Cadiz führe?“
„Nein, überhaupt nicht! Ich bin nur …“ Bianca öffnete die Augen und sah, dass er sie erstaunt anblickte, woraufhin sie noch mehr lachen musste. Sie stürzte sich auf ihn und bedeckte sein Gesicht mit Küssen; küsste ihn, als sei es das erste Mal.
„Oh, Balthazar! Du magst deine Neffen und deine Nichte also? Du magst Kinder?“
Auch er begann zu lachen und legte seine Arme um sie. „Natürlich mag ich die kleinen Bälger.“
„Und in ihnen macht sich bestimmt auch kein ‚schlechtes‘ bemerkbar, oder?“
„Nein, es sind liebe Kinder. Gutherzig und stark, nicht wie ihr Großvater.“
„Sie müssen ihrem Onkel nachkommen.“ Sie drückte einen langen, zärtlichen Kuss auf seine Lippen und fühlte, wie das heiße Verlangen, dessen sie sich nie erwehren konnte, sie überkam.
Sie sehnte sich danach, seine Hand auf ihren Bauch zu legen, auf das „gutherzige, starke“ Kind, das dort heranwuchs, und ihm ihr Geheimnis zu offenbaren. Doch ein lauter Ruf riss sie aus ihren Gedanken und ihren neuen Hoffnungen.
„Käpt’n“, hörte sie einen der Männer rufen. Rasch fuhren Balthazar und sie auseinander und sahen Luis den Hügel herauf in ihre Richtung laufen.
Sie hielt ihre Hand schützend gegen die Sonne. Ihr Kopf drehte sich, und die Flammen des Glücks verglühten zu kalter Asche. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie Luis’ blasses, angespanntes Gesicht sehen, die Zeichen aufkommender Panik und Unsicherheit.
Eine ungute Vorahnung überlief sie.
Balthazar stand auf und half auch ihr auf die Füße. Sie spürte, dass er ebenfalls gespannt auf die Nachricht wartete, die Luis zu überbringen hatte.
„Ein Schiff nähert sich der Insel“, keuchte Luis außer Atem, als er näher kam.
„Welche Flagge hat es gehisst?“, fragte Balthazar.
„Gar keine, Kapitän.“
„Sie ist unbeflaggt?“, fragte Bianca ungläubig. Ein unbeflaggtes Schiff bedeutete natürlich nur eins – es war Gefahr im Anzug. Sie lebte schon lange genug auf den karibischen Inseln, um zu wissen, dass jeder Mann Feinde hatte. Besonders ein Mann wie Balthazar, der vermögend und für sein stürmisches Temperament bekannt war. Doch ihr friedlicher, glücklicher Aufenthalt auf Vista Linda, weit entfernt von der Raffgier und Grausamkeit der restlichen Welt, hatte sie das vergessen lassen. Hatte sie wieder in das sanfte und verletzliche Mädchen verwandelt, das sie einst gewesen war. Damals hatte sie schockiert mitansehen müssen, wie ihre Welt sich direkt vor ihren Augen in einen Trümmerhaufen verwandelte und hatte nur noch fliehen können.
Würden sich die schrecklichen Ereignisse wiederholen?
Bianca sah hinauf zu Balthazar, in dieses gut aussehende Gesicht, das sie so sehr liebte und das nun in Granit gemeißelt schien. Hart und unnachgiebig. Sie wusste, dass sie diesmal nicht fliehen, sich nicht verstecken konnte. Egal, was geschah, was dieses unbekannte Schiff im Schilde führte, sie musste an seiner Seite bleiben.
Er drehte sich abrupt um und griff nach einem Fernrohr, das neben dem Pfeilköcher lag. Mit großen Schritten stieg er auf den Hügel oberhalb des Hauses hinauf, von wo aus er den Hafen überblicken
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