Im Winter der Löwen
Die Katastrophe war bereits geschehen, eine zweite schien er nicht zu erwarten.
Die Empfangshalle und die daran angrenzende Cafeteria waren leer. Geräumt für die Spurensicherer. Die Vernehmungen fanden in einem Konferenzsaal im ersten Stock statt. Westerberg führte sie hin, ohne sein Gespräch mit dem Mitarbeiter zu unterbrechen. Er ließ das Handy erst sinken, als ihm dieser Mitarbeiter Auge in Auge gegenüberstand und gleichfalls sein Handy sinken ließ.
»Das kann doch bitte nicht sein«, sagte Westerberg. Er schrie jetzt nicht mehr, sondern sprach leise und langsam.
»Was denn?«, fragte Sundström.
»Wir haben nichts. Gar nichts«, sagte Westerberg. »Niemand hat die geringste Ahnung, wer Hämäläinen niedergestochen hat.«
Sie traten weiter in den Raum hinein, der angefüllt war mit Menschen. An den Tischen saßen Beamte im Gespräch mit Angestellten des Senders. Joentaa erkannte einen der Pförtner wieder, der sie am Vortag hereingelassen hatte.
»Es ist so: Das ist ja in gewisser Weise ein abgeschlossener Raum, in dem wir uns bewegen«, sagte Westerberg. »Aber eben nur fast.«
»Du sprichst in Rätseln«, sagte Sundström.
»Also, im Prinzip wird jeder registriert, was den Personenkreis, den wir abzudecken haben, minimieren würde.«
»Auf die paar hundert Leute, die hier arbeiten, meinst du?«
»Ja, aber das funktioniert leider auch nicht.«
»Aha«, sagte Sundström.
»Es gab am Morgen zwei Führungen durch das Sendergebäude, für Gewinner eines Kreuzworträtsels«, sagte Westerberg.
»Kreuzworträtsel«, sagte Sundström.
»Wenn wir also zunächst einen Außenstehenden als Täter in Betracht ziehen und wenn wir davon ausgehen, dass er sich wohl kaum hier mit Name und Anschrift registrieren lassen würde, bevor er Hämäläinen angreift, dann vermuten wir, dass er sich irgendwie unter diese Leute gemischt hat und in einer der Gruppen unerkannt ins Gebäude gekommen ist.«
Sundström nickte. »Und dann hat er in der Eingangshalle auf Hämäläinen eingestochen und ist einfach so gegangen.«
»Nein«, sagte Westerberg.
»Ach, nein?«
»Nein, Hämäläinen wurde in der Cafeteria niedergestochen«, sagte Westerberg. »Genau gesagt, zwischen der Cafeteria und der Eingangshalle. Beides ist ja nicht durch eine Tür getrennt, sondern geht ineinander über.«
Sundström sah Westerberg an und begann plötzlich zu lachen. »Sag mal, Marko, willst du mich verarschen?«
»Nein«, sagte Westerberg.
»Du willst mir doch nicht erzählen, dass niemand mitbekommen hat, wie der Star-Moderator dieses Senders schwer verletzt am Boden lag und nach Luft röchelte. Das ist doch … es muss doch jemand in dieser Cafeteria gewesen sein. Hinter der Theke zum Beispiel.«
»Hinter der Theke war in dem Moment wohl niemand, weil die Angestellte zur Toilette gegangen war. Zwei Frauen, Redakteurinnen von den Nachrichten, haben ausgesagt, dass sie zur selben Zeit wie Hämäläinen Kaffee getrunken haben, aber sie haben ihn nur weggehen sehen, sie haben nicht gesehen, wie er angegriffen wurde.«
Sundström nickte eine Weile und murmelte etwas Zustimmendes. »So, so. So, so. Ja, sicher.«
»Ich bin genauso sauer wie du …«
»Das ist doch der Witz. Da bekomme ich doch den Lachkrampf meines Lebens!«, schrie Sundström. Die Gespräche im Raum verstummten, und Sundström begann tatsächlich zu lachen. »Auf alles richtet ihr eure Kamera, und dann verpasst ihr das Beste, das ist ja die Ironie, das ist ja der Hammer«, sagte er. »Kimmo, guck dir das an, das ist doch der Witz hier.«
»Du beruhigst dich jetzt, Paavo, und dann machen wir weiter«, sagte Westerberg.
»Gut, genau so machen wir das. Woher nimmst du eigentlich diese ganze Lethargie? Ist das Yoga oder Tai-Chi oder was?«
»Paavo, lass uns …«
»Hier ist heute der prominenteste Finne niedergestochen worden, und zwei andere Männer sind bereits tot, darunter einer, den ich gekannt und gemocht habe. So weit einsichtig?«
Westerberg nickte. »Ich will jetzt mit den Pförtnern sprechen, die diese Ausflugsgruppen reingelassen haben«, sagte Sundström. »Und mit den Leuten, die zu diesen Gruppen gehören. Sofort. Und Kimmo spricht nochmal mit den beiden Frauen, die Hämäläinen in der Cafeteria gesehen haben.«
Westerberg nickte. »Ich kümmere mich drum«, sagte er und besprach sich mit dem Kollegen, der noch immer mit dem Handy in der Hand dastand.
»Mann, da fällt mir echt kein Witz mehr zu ein«, sagte Sundström.
Westerberg winkte Joentaa
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