Im Winter der Löwen
sagte Tuula.
Mertaranta nickte.
»Vielleicht können wir eine Langversion des Specials auf unseren Sendeplatz heben.«
Mertaranta dachte eine Weile darüber nach, dann sagte er: »Gute Idee.«
Eine kurze Stille trat ein, und Mertaranta warf Joentaa einen Blick zu, den er nicht deuten konnte.
»Verstehen Sie uns nicht falsch, wir müssen einfach zusehen, dass der Bildschirm nicht schwarz ist. Und nachdem es Kai besser geht, sind wir natürlich erleichtert und …«
Joentaa nickte.
»… und wissen Sie was …«, sagte Mertaranta.
Joentaa wartete und dachte an Larissa, daran, dass er sie anrufen, ihre Stimme hören wollte.
»… Kai-Petteri selbst würde es so wollen. Wissen Sie, was Kai-Petteri am liebsten machen würde, wenn er wieder bei Kräften ist?«
Bei Kräften …, dachte Joentaa und dachte an den reglos liegenden Körper, in den Schläuche hineinführten, und Mertaranta sagte:
»Er würde sich selbst interviewen.«
32
Wie auf Schienen über Schnee gleiten.
Die Welt in Ordnung bringen.
»Das haben Sie in unserem letzten Gespräch gesagt. Ich erinnere mich daran«, sagt die ferne Stimme. »Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass Sie jetzt daran denken. Haben Sie ein bestimmtes Bild vor Augen?«
Ein bestimmtes Bild …
»Immer dasselbe«, sagt sie.
Der Bus biegt auf die schmale Straße ein, an deren Ende sie wohnt. Links von ihr der graue See. Rechts das weiße Fußballfeld.
Das Telefon wiegt leicht in ihrer Hand.
»Ich habe gleich einen Termin. Möchten Sie unser nächstes Gespräch vorziehen? Meinen Unterlagen zufolge sehen wir uns erst kommende Woche wieder«, sagt er.
Der graue See, in dem Ilmari geschwommen ist.
»Ich kann heute Abend einen Termin freimachen.«
Der weiße Fußballplatz, auf dem Veikko gespielt hat.
»Heute Abend um 18.30 Uhr? Das mit der Abrechnung regele ich, das kriegen wir hin«, sagt er.
Der am Boden liegende Mann. Der fragende, ins Leere gerichtete Blick. Sie steht am Rand und wartet. Sie weiß nicht, worauf.
Sie denkt an den Brief, der am Morgen in der Post gelegen hat. Sie hat lange den Absender betrachtet. Ein freundliches Anschreiben, eine herzliche Einladung und beiliegend zwei Zugtickets. Hin- und Rückfahrt. Wer soll es beschreiben können, wenn nicht sie?
»Heute Abend sprechen wir über das Bild, das Sie sehen«, sagt er.
Eine leere Halle. Der Mann liegt am Boden und blickt nach oben. Sie folgt seinem Blick. Sie kann den Himmel sehen über einem Dach aus Glas. Sie steht am Rand und wartet darauf, dass der Himmel einstürzt.
Aber nichts.
Nichts passiert.
»Ich notiere mir jetzt 18.30 Uhr. Sind Sie noch da?«
Ein Fremder hört ihr zu, während sie schweigt.
33
Am frühen Abend rief der Arzt an und sagte, dass Kai-Petteri Hämäläinen erwacht und vernehmungsfähig sei. Sie fuhren ins Krankenhaus. Hämäläinen lag reglos auf dem Bett, von Apparaturen und Schläuchen umgeben, und nickte ihnen zu, als sie eintraten.
»Die Herren von der Polizei«, murmelte er und schien zu lächeln. Er richtete sich ein wenig auf und wirkte erleichtert. Befreit von Todesangst, vermutete Joentaa, und Westerberg begann, Fragen zu stellen. Hämäläinens leise, überraschende Antworten tröpfelten in die Stille und vertieften sie.
»Nichts?«, fragte Sundström. »Sie haben gar nichts gesehen? Nichts wahrgenommen?«
»Einen Schatten«, sagte Hämäläinen.
»Einen Schatten?«
»Ich erinnere mich daran, dass ich von der Cafeteria zu den Aufzügen gelaufen bin. Ich habe … ich versuchte, mich an den Namen des Gerichtsmediziners zu erinnern … und mir fiel nur der Name seines Sohnes ein.«
»Seines Sohnes?«, fragte Westerberg.
»Ja, Kalle. Der Gerichtsmediziner hatte mir erzählt, dass er Vater eines Sohnes werde und dass er Kalle heißen solle. Das fiel mir ein, und dann sah ich einen Schatten, und dann …«
»Ja?«, fragte Sundström. »… dann war alles sehr langsam. Ich hatte das Gefühl zu schweben und habe einen Schmerz im Rücken gespürt … als ob etwas mich gestochen oder gestreift hätte.«
Sie warteten.
»Ein Schatten. Und dann dieser Schmerz. Dann war ich draußen, ich wurde getragen. Dann bin ich hier aufgewacht.«
Sie warteten, aber Kai-Petteri Hämäläinen hatte alles gesagt.
»Das gibt es nicht«, sagte Sundström.
Westerberg drehte sich zu ihm um.
»Das gibt es nicht«, wiederholte Sundström.
Hämäläinen nickte, und Joentaa dachte wieder, dass er verändert aussah.
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen«, sagte
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