Im Winter der Löwen
Mann.
»Joentaa. Kriminalpolizei.«
Der Mann lächelte. Ein wenig verunsichert. Eher belustigt. Vermutlich entsprach Joentaa nicht dem Bild, das sich Ari Pekka Sorajärvi von einem Polizisten machte.
»Ist das hier alles ernst gemeint?«, fragte Sorajärvi.
»Glauben Sie, ich würde aus Spaß an Ihre Tür klopfen?«
»Was wollen Sie, Mann?«
»Ihr Führerschein«, sagte Joentaa und reichte ihm die Karte.
Sorajärvi stutzte. »Oh«, sagte er.
»Ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen?«, fragte Joentaa.
»Äh … nein. Offen gesagt, nein. Woher …«
»Larissa«, sagte Joentaa, und Sorajärvi glotzte ihn an.
»Äh …«
»Sie haben Glück, dass Ihre Nase gebrochen ist, denn wäre sie das nicht, würde ich sie in diesem Moment kurz und klein schlagen.«
Sorajärvi glotzte, und Joentaa fragte sich, was er für einen Unsinn redete.
»Wiedersehen«, sagte er und wendete sich ab. Er spürte Sorajärvis Blicke im Rücken. Er stand noch im Türrahmen seines stattlichen Hauses, als Joentaa den Wagen startete. Links und rechts neben der Haustür weihnachtlich geschmückte Tannen.
Während der Fahrt begann Joentaa zu lachen, und er konnte gar nicht mehr aufhören. Das Handy klingelte. Es war Sundström. Er schien weit weg zu sein. Er sprach leise und abwesend.
»Hämäläinen«, sagte er.
»Ja?«, fragte Joentaa.
»Niedergestochen. In der Cafeteria des Fernsehsenders.«
Joentaa spürte ein Rauschen im Kopf und die Lachtränen auf den Wangen.
»Er liegt auf der Intensivstation. Wir fahren nach Helsinki.«
»Ja«, sagte Joentaa.
»Bis gleich«, sagte Sundström und unterbrach die Verbindung.
30
Sie fuhren schweigend. Die Autobahn war geräumt worden. Links und rechts neben der Straße türmte sich der Schnee. Nurmela, der Leiter der Polizei in Turku, rief mehrfach an und erkundigte sich nach neuesten Entwicklungen. Fragte, ob das alles wahr sei. Und warum man Hämäläinen nicht unter Polizeischutz gestellt habe. Wie es überhaupt möglich sei, dass etwas Derartiges … Sundström antwortete einsilbig und schien in Gedanken versunken zu sein. Er schwieg, bis sie in Helsinki ankamen und vor dem Eingang des Krankenhauses ausrollten.
»Ach du Scheiße«, sagte Sundström. Dann schwieg er wieder.
Vor dem Krankenhaus standen Hunderte von Menschen hinter einer Absperrung. Übertragungswagen verschiedener Fernseh- und Radiosender. Das Telefon klingelte. Nurmelas hektische Stimme erfüllte den Innenraum des Wagens.
»Wir sind jetzt da«, sagte Sundström.
»Und?«, fragte Nurmela.
»Hier ist die Hölle los«, sagte Sundström.
»Ruf mich an, sobald ihr irgendwas erfahrt«, sagte Nurmela.
Sie stiegen aus und bahnten sich einen Weg durch die Menschenmenge. Sundström hielt seine Plakette in die Höhe. Ein uniformierter Polizist winkte sie an die Absperrung heran und begleitete sie zum Eingang. Nach einigen Minuten kam Marko Westerberg. Er wirkte noch müder und matter als sonst, vermutlich war das in seinem Fall ein Anzeichen von Stress.
»Er wird es schaffen«, sagte Westerberg. »Die Ärzte sagen, dass er ungeheures Glück gehabt hat.«
Sie folgten Westerberg zu den Aufzügen. Sie mussten eine Weile warten. Im Innern des Krankenhauses herrschte eine Ruhe, die in merkwürdigem Kontrast stand zu der Aufregung draußen. Sie standen fast allein in der Empfangshalle, nur ab und zu huschten Menschen in weißen Kitteln vorüber. An einer gelben Wand saß eine Frau mit einem Gips am Bein auf einer Bank und blätterte in einer Zeitschrift. Neben ihr lehnten zwei Krücken.
»Kommt der jetzt bald?«, fragte Sundström.
Westerberg drückte noch einmal auf den Knopf, und sie starrten auf das rote Licht, das die Ankunft des Aufzugs ankündigte. Dann öffnete sich die breite Tür. Zwei Sanitäter schoben eine Bahre an ihnen vorbei. Auf der Bahre lag ein alter Mann, der einem Skelett ähnlich sah. Seine Augen streiften Joentaa, als sie in den Aufzug stiegen.
Sie fuhren in den vierten Stock. An der Tür, auf der in schmalen weißen Buchstaben Intensivstation geschrieben stand, wartete ein uniformierter Polizist, der ihnen zunickte und einen Code in ein Zahlenfeld eingab. Die Tür öffnete sich automatisch. Dahinter schien Chaos zu herrschen. Aber nur auf den ersten Blick. Joentaa nahm gleichzeitig mehrere Gespräche wahr. Die Ärzte und Schwestern waren in ein grünliches Blau gekleidet, sie bewegten sich schnell und zielfixiert, und Joentaa dachte an die letzte Nacht im Krankenhaus. Den Moment, in dem Sannas Puls
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