Im Winter der Löwen
heran. Er stand neben zwei jungen Frauen, die entsetzt und gleichzeitig aufgekratzt und erregt wirkten. Gemischte Gefühle. Wie die beiden Jungen, die im Wald in Turku hinter dem Absperrband gestanden und den am Boden liegenden Patrik Laukkanen betrachtet hatten.
Joentaa gab den beiden Redakteurinnen die Hand und stellte sich vor. Sie setzten sich an einen der Tische, und Joentaa stellte die Frage, von der er bereits wusste, dass sie mit »Nein« beantwortet werden würde.
»Sie haben nichts gesehen? Und sei es nur die Ahnung einer Person, die Kai-Petteri Hämäläinen attackiert hat?«
Die beiden Frauen schüttelten den Kopf.
»Wir saßen noch in der Cafeteria an unserem Tisch, als … Kai-Petteri ging. Wir … haben noch …«
»Wir haben hinter ihm hergeschaut. Wir haben über ihn gesprochen …«, sagte die andere Frau.
»Dann ist er aus unserem Blickfeld gewesen, und wir sind noch einige Minuten sitzen geblieben. Wir haben … wir haben nichts gehört. Gar nichts.«
»Wir sind den Weg gegangen, den er gegangen ist, und dann haben wir ihn am Boden liegen sehen …«
Joentaa nickte. Einige Minuten. Kai-Petteri Hämäläinen hatte einige Minuten im Zentrum des Glaskastens gelegen und um sein Leben gerungen, ohne dass jemand es bemerkt hatte.
»Er lag irgendwie … ganz ruhig. Er sah uns an und nickte nur …«
»Wir sind zu den Pförtnern gerannt, die den Notarzt verständigt haben. Und kurze Zeit später schien jeder im Haus Bescheid zu wissen. Plötzlich waren alle da …«
»Versuchen Sie noch einmal, sich auf die Menschen zu konzentrieren, die sie gesehen haben. War irgendjemand dabei, der nicht hierhergehört? Vielleicht auch draußen im Park, vielleicht haben Sie durch die Scheiben gesehen, während sie auf den Notarzt gewartet haben …«
Sie schüttelten den Kopf. »Da war niemand«, sagte die jüngere der beiden Frauen. »Erst war überhaupt niemand da, und dann alle. Aber niemand, der mir aufgefallen wäre.«
Die Kollegin nickte zustimmend.
Joentaa bedankte sich. Die beiden Frauen standen auf und blieben unschlüssig stehen. Sie blickten sich um und schienen nicht zu wissen, was sie als Nächstes tun sollten. Wie die meisten in diesem Raum. Eine merkwürdige Umkehrung der Verhältnisse, dachte Joentaa. Die suchenden Ermittler stellten zielbewusst Fragen. Und den Mitarbeitern des Senders, der Tag für Tag neue Formate und Inszenierungen für die Katastrophen des Lebens fand, waren die Antworten ausgegangen.
Er dachte an Kai-Petteri Hämäläinen. An den immer gleichen Ausdruck auf seinem Gesicht, der, wenn er die Redakteurinnen richtig verstand, auch dann noch unverändert geblieben war, als er lebensbedrohlich verletzt am Boden gelegen hatte.
Er sah hinüber zu Sundström, der erhitzt auf einen Pulk von Menschen einredete. Joentaa erkannte einen der Pförtner und vermutete, dass die anderen den Ausflugsgruppen angehörten. Sundströms Stimme, die unterdrückte Wut darin, drang bis zu ihm herüber. Am Rand des Raums sah er Hämäläinens Assistentin stehen. Tuula Palonen, wenn er sich richtig erinnerte. Sie sprach mit einem mittelgroßen, grauhaarigen Mann oder schien eher zuzuhören, während er ihr etwas erklärte. Er ging auf sie zu.
»Entschuldigung«, sagte er.
Tuula Palonen wendete sich abrupt in seine Richtung. »Sehen Sie nicht, dass … oh … wir …«
»Kimmo Joentaa. Ich war gestern mit zwei Kollegen bei Ihnen in der Redaktion.«
»Natürlich. Entschuldigung, wir waren gerade … das ist Raafael Mertaranta, der Geschäftsführer unseres Senders.«
»Sehr erfreut«, sagte Mertaranta, und Joentaa nickte.
»Wir hören … wir hören, dass es Kai-Petteri besser geht, das ist wunderbar«, sagte Mertaranta.
»Die Ärzte sagten uns, sein Zustand sei stabil.«
»Ich möchte hinfahren, ins Krankenhaus«, sagte Tuula Palonen. »Aber Ihr Kollege …«, sie deutete auf Westerberg, der an einem der Tische im Gespräch saß, »Ihr Kollege meinte, dass alle Mitarbeiter verfügbar sein sollten.«
Joentaa nickte. »Wir waren schon im Krankenhaus. Er ist jetzt ohnehin nicht ansprechbar. Er ist noch nicht bei Bewusstsein.«
Tuula Palonen seufzte kaum hörbar, und Raafael Mertaranta sagte: »Wissen Sie, wann er wieder moderieren kann?«
Joentaa war zu perplex, um antworten zu können.
»Wir müssen ihn natürlich zunächst ersetzen«, sagte Mertaranta.
Joentaa suchte nach Worten. »Ja«, sagte er schließlich.
»Die Nachrichten machen heute sowieso ein Special über … über Kai«,
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