Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
größer als erwartet. In zwei Öfen lagen goldbraune Pizzen. Josefiina trug Handschuhe und eine weiße Plastikhaube auf dem Kopf und schälte Tomaten.
    »Der Mann hier will dich sprechen«, sagte die junge Kassiererin. »Von der Polizei.«
    »Kimmo Joentaa«, sagte er und gab ihr die Hand.
    »Polizei?«, fragte sie.
    »Ja, ich …«
    »Das letzte Mal, als die Polizei hierherkam, war Raisa gestorben. Bei einem Flugzeugabsturz.«
    »Ich weiß, deshalb bin ich …«
    »Es musste untersucht werden. Sie sagten, dass jeder Unfall dieser Art untersucht werden müsse.«
    »Das stimmt. Ich möchte Sie etwas fragen«, sagte Joentaa. Dann schwieg er, weil er nicht wusste, wie er die Frage formulieren sollte.
    »Ja?« Die alte Frau sah ihn erwartungsvoll an.
    »Können Sie sich vorstellen, dass es einen Angehörigen gibt, der Raisas Tod vielleicht … nie bewältigt hat. Der vielleicht eine … Wut in sich trägt.«
    »Wut?«
    »Ich kann es schwer formulieren.«
    »Raisas Mutter ist gestorben. Sie war schon länger an Krebs erkrankt, und nach Raisas Tod ist sie auch gestorben.«
    Joentaa nickte. »Und Joakim hat es natürlich nicht verkraftet. Wie soll man das verkraften?«
    »Ich weiß, entschuldigen Sie, dass ich mich so unklar ausdrücke …«
    »Aber Wut? Wut habe ich bei Joakim nie gespürt. Wut worauf?«
    Joentaa schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Entschuldigen Sie.«
    Er gab beiden Frauen die Hand und ging. Eine Sackgasse, dachte er. Eine Ermittlung, die nicht zu führen war.
    Er dachte an Sanna. Sie stand unter der Sonne, am Rand des Wassers, und schien auf etwas zu warten.
    Er fuhr auf der schmalen grauen Straße, die ans Wasser führte, zurück in Richtung Turku.
49
    Paavo Sundström folgte der Redakteurin Tuula Palonen durch ein Labyrinth aus gläsernen Gängen. Sie hielt ihr Handy ans Ohr und stauchte einen Kollegen zusammen. Danach fauchte sie wie eine Katze, und Sundström zuckte zusammen.
    »Alles klar so weit?«, fragte er.
    »Wir sind anscheinend nicht in der Lage, Niskanen herzuschaffen.«
    »Den Langläufer?«, fragte er.
    Sie antwortete nicht und hatte schon den nächsten Gesprächspartner in der Leitung. »Kai will Niskanen, verdammt. Es wird doch möglich sein, den Mann zwei Stunden von seinen Schafen wegzubringen. Das ist mir egal, wichtig ist nur, dass er zusagt, und zwar spätestens heute Abend. Weil dann die Pressemeldung mit den Gästen rausgeht, du Depp. Und Sie wollen das Studio sehen, ja?!«
    Sundström brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass jetzt er gemeint war und nicht der Depp am anderen Ende der Leitung.
    »Ja. Genau, das wäre nett.«
    »Warum eigentlich?«
    Warum eigentlich, dachte er. Ja, warum eigentlich.
    »Wir möchten Personenschützer an neuralgischen Punkten platzieren. Wir benötigen einen Überblick«, sagte er.
    »Aha«, sagte Tuula Palonen, die nur mit geteilter Aufmerksamkeit zuzuhören schien.
    »Deshalb ist es für mich wichtig, das Studio zu sehen und die Einlassbereiche fürs Publikum«, sagte Sundström.
    »Bodyguards für Kai«, sagte Tuula Palonen und wirkte nachdenklich.
    »Ja. Solange unsere Ermittlung nicht …«
    »Meinen Sie, wir könnten das in die Sendung integrieren?«
    »Äh …«
    »Nur kurz. Vielleicht ein kurzes Gespräch mit einem der Beamten.«
    »Nein. Ich fürchte, nein.«
    »Kai wäre es wahrscheinlich sowieso nicht recht«, sagte sie. Ihr Handy spielte eine Sinfonie, und sie begann schon wieder, über Niskanen zu reden.
    Sie betraten einen großen, dunklen Raum, dessen Frontwand ein riesiges Glasfenster war, das den Blick freigab auf ein hell erleuchtetes Studio. Etwas seitlich versetzt standen Mischpulte, knapp oberhalb der Decke hingen Flachbildschirme, auf denen verschiedene Programme liefen. Unter anderem auch die Show, die gerade hinter der Glaswand im angrenzenden Studio aufgenommen wurde.
    Das Studio war wie ein Gerichtssaal eingerichtet. Ein Richter mit Robe, ein Angeklagter mit hängenden Schultern und ein Mädchen im Zentrum des Raumes, das wohl die Zeugin gab. Rechts und links Publikum, alle Plätze besetzt. Er trat vorsichtig näher heran.
    »Keine Angst, die können uns nicht sehen«, sagte ein Mann, den er jetzt erst entdeckte, er saß zurückgelehnt in einem Drehstuhl und blickte abwechselnd auf das Geschehen im Studio und auf den Bildschirmen.
    »Ach ja?«, fragte Sundström.
    »Ja, das ist das Glas, das Sie auch benutzen. Wenn Sie Ihre Verdächtigen verhören.«
    Sundström nickte vage.
    »Sie sind doch einer der

Weitere Kostenlose Bücher