Im Winter der Löwen
flirrenden Bildschirm und las die Pressemitteilung, mit der sie in Kürze eine Reihe von Zeitungen veranlassen würde, kurzfristige Änderungen auf den Titelseiten vorzunehmen.
Sie hatte den Text mit den Redaktionsmitgliedern abgestimmt, aber sie konnte sich noch nicht dazu entschließen, die Meldung auf den Weg zu schicken.
Vor allem war sie nicht sicher, ob Kai-Petteri wirklich alles gut durchdacht hatte. Bei Lichte besehen hatte sie im Krankenhaus den gegenteiligen Eindruck gehabt. Er hatte verändert gewirkt. Sehr ruhig, fast gut gelaunt, in gewisser Weise gelöst, aber doch angeschlagen. Natürlich. Und irgendwie merkwürdig … abwesend. Einige Male hatte sie den Eindruck gehabt, dass er wirres Zeug redete, was absolut nicht zu dem Hämäläinen passte, den sie kannte.
Er wollte also zurückkehren. Wenige Tage nach einem auf ihn verübten Mordanschlag. Die Sendung wie geplant durchziehen. Keine Änderung der Gästeliste, keine neuen Beiträge. Kein Beitrag über das … was ihm passiert war. Obwohl das ja das Thema war. Ein Jahresrückblick ohne das Thema des Jahres. Er wollte zurückkehren, als sei nichts gewesen.
Keine Änderung der Gästeliste, mit einer Ausnahme. Niskanen. Den Langläufer Niskanen solle sie einladen, sie solle ihn in Irland oder wo auch immer auftreiben und zu ihm auf die Couch setzen, und würde er sich weigern, könne sie auf das Budget des kommenden Jahres zugreifen, bis Niskanen zusage. Sie hatte recherchiert, und es stimmte. Niskanen, der Langläufer, züchtete Schafe in Irland.
Sie betrachtete die Pressemitteilung und widerstand ein letztes Mal dem Impuls, Kai-Petteri anzurufen und ihm die Sache auszureden. Vermutlich schlief er schon, und Mertaranta war ohnehin begeistert.
Einige Sekunden ruhte ihr Finger auf der Taste, dann schickte sie in dem Bewusstsein, etwas Besonderes zu tun, die Nachricht von Kai-Petteri Hämäläinens bevorstehender Auferstehung in die Welt.
47
Als Kimmo Joentaa nach Hause kam, saß Larissa in ihrem weißen Mantel auf der Treppe vor dem Haus. Er stieg aus dem Wagen, ging auf sie zu und erahnte ihre Augen in blassem Licht.
»Äh, kalt hier«, sagte er.
»Nicht sehr«, sagte sie.
»Wie … wie war dein Tag?«, fragte er.
Sie schwieg eine Weile, dann lachte sie.
Lachte ihn aus, herzhaft, bis er irgendwann einstimmte.
30. Dezember
48
Kimmo Joentaa fuhr früh nach Turku und ließ Larissa schlafen.
Er hoffte, sie würde zu spät zur Arbeit kommen.
Er beschrieb einen Zettel: Liebe Larissa, bis heute Abend, Kimmo.
Er leitete in Sundströms Abwesenheit die morgendliche Besprechung, hörte zu, als ihm der übernächtigt wirkende Tuomas Heinonen weitere Details aus Patrik Laukkanens Privatleben mitteilte, hörte zu, als ein erregter Nurmela Ergebnisse und Erkenntnisse einforderte, telefonierte stündlich mit Sundström.
Zwischenzeitlich las er die Zeitungen, die die Gesundung Hämäläinens und seine bevorstehende Rückkehr auf den Bildschirm in krude, zuweilen merkwürdig martialische Sprache und überdimensionierte Buchstaben brachten.
›Wer tötet die Herren des Todes?‹, titelte Illansano mat .
›Hämäläinen trotzt dem Wahnsinn, dem Schmerz und dem Schicksal‹, hieß es bei Eteläsuomalainen . Wahnsinn, Schmerz und Schicksal waren in rot geschrieben.
Was immer das heißen mochte.
Am Mittag hatte Kimmo Joentaa genug davon und fuhr nach Raisio. Auf einer Straße, die er kannte. Eine Abkürzung, nicht viele wussten davon.
Er fuhr und dachte an Sanna und daran, dass sie neben ihm gesessen hatte, in einem anderen Leben, schon im Badeanzug, weil sie so schnell wie möglich ins Wasser springen wollte, und gleich losrannte, sobald er den Wagen auf den Parkplatz gesteuert hatte.
Eine schmale Straße unter der Sonne, durchzogen von gelben Linien, umgeben von Wald und Wasser. Von Zeit zu Zeit ein Haus, das vorbeiflog.
Die Nummer 12 war eine Tankstelle. Zwei Zapfsäulen für Reisende, die sich verirrten. Eine verschneite Reklametafel pries Eiscreme und Pizza an.
Er stieg aus und lief und fragte sich, was er hier wollte. Hinter der Theke standen zwei junge, identisch gekleidete Frauen. Sie trugen eine weiße Schürze, ein hellblaues T-Shirt, schwarze Hosen und eine Schirmmütze der Tankstellenkette. An einem der Spielautomaten stand eine Frau mittleren Alters. Dem ständigen Klimpern nach zu urteilen, knackte sie gerade mit unbeteiligter Miene den Jackpot. An einem der Tische lag ein Mann mit einem ungeheuren Bauchumfang in einem Stuhl und
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