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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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führte ein Stück Pizza zum Mund.
    »Haben Sie getankt?«, fragte eine der jungen Frauen.
    »Äh, nein. Mein Name ist Joentaa, von der Polizei in Turku.« Er reichte ihr seinen Ausweis.
    »Oh«, sagte sie.
    »Kannten Sie Raisa Lagerblom?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Sie hat hier gelebt«, sagte Joentaa. »Zumindest war sie zum Zeitpunkt ihres Todes unter dieser Adresse gemeldet.«
    »Es gibt zwei Wohnungen hier, im ersten Stock.«
    »Aber der Name sagt Ihnen nichts?«
    »Ich bin erst seit zwei Monaten hier. Wann ist sie denn gestorben?«
    »2005«, sagte Joentaa.
    »Oben wohnt ein Lagerblom«, sagte die junge Kollegin aus dem Hintergrund.
    »Ja?«
    »Ja. Er war mal Pächter dieser Tankstelle hier. Ist aber wohl lange her, er wohnt hier nur noch.«
    »Heißt der Lagerblom?«, fragte die andere.
    »Ja. Joakim … Joakim Lagerblom, glaube ich.«
    »Der, der sich immer die Augen aus dem Kopf starrt, wenn er uns sieht?«, sagte die eine.
    »Genau«, entgegnete die andere.
    »Wie komme ich zu den Wohnungen?«, fragte Joentaa.
    »Durch die Tür raus, dann gleich links und nochmal links, hinters Haus.«
    »Danke«, sagte Joentaa und trat ins Freie.
    »Worum geht es eigentlich?«, fragte eine der Frauen in seinem Rücken, er antwortete nicht. Die Tür zu den Wohnungen stand offen, Joentaa ging die Treppe hinauf und klopfte. Ein weißhaariger, braun gebrannter Mann um die sechzig öffnete.
    »Herr … Lagerblom?«, fragte Joentaa.
    »Ja«, sagte der Mann.
    »Mein Name ist Joentaa. Von der Polizei in Turku.« Wieder zeigte er seinen Ausweis.
    »Ja …«, sagte der Mann. Er wirkte weder besorgt noch interessiert. Eher ratlos.
    »Ich möchte mich nach Raisa Lagerblom erkundigen«, sagte Joentaa.
    »Raisa«, sagte der Mann.
    »Ja … sie … kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.«
    »2005. Im Sommer. Meine Tochter«, sagte der Mann.
    »Darf ich reinkommen?«, fragte Joentaa.
    Der Mann nickte und ging voran. Die Wohnung war größer, als es von draußen aus den Anschein hatte. Das Fenster im Wohnzimmer gab den Blick auf die Straße frei. Weiter hinten begannen die Holzhäuser von Naantali, ein Streifen des Sandstrands war zu sehen, am Horizont ging das graue Wasser des Meeres fast nahtlos in den Himmel über.
    »Schön«, sagte Joentaa.
    Der Mann sah ihn fragend an. »Ein schöner Blick … auf Naantali«, sagte Joentaa.
    Der Mann nickte.
    Sie standen im Zentrum des Raums, und Joentaa wusste nicht, was er sagen sollte. Der Mann kam ihm zuvor.
    »Was wollen Sie wissen … über Raisa? Und warum?«
    »Es ist schwer zu erklären. Können Sie mir sagen … gibt es … außer Ihnen … weitere nächste Angehörige Ihrer Tochter?«
    »Warum?«
    »Wir sprechen im Rahmen einer Ermittlung mit Angehörigen von Menschen, die bei Unfällen … etwa Flugzeugabstürzen ums Leben kamen.«
    »Warum?«
    »Ich kann es Ihnen nicht im Detail erklären.«
    Der Mann schwieg, und Joentaa begriff, dass er ein unmögliches Gespräch führte, eines, das nicht geführt werden konnte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er.
    »Es war erst ihr zweiter Flug allein«, sagte der Mann.
    Joentaa nickte.
    »Es war ein großer Wunsch von ihr. Sie war … mutig. Das hatte sie von ihrer Mutter. Meine Frau hat immer gesagt, das Mutigste, was ich tun würde, wäre, im Sommer und im Winter in der Sonne zu braten. Und dass mich das irgendwann krank machen wird.«
    Joentaa nickte.
    »Aber gestorben ist dann sie. An Krebs. Und Raisa. Weil sie unbedingt fliegen wollte.«
    Joentaa nickte. »Entschuldigen Sie, dass ich …«
    »Wir haben die Tankstelle hier betrieben. Meine Frau und meine Tochter haben das Café bewirtet.«
    Joentaa nickte.
    Er erhob sich, gab dem Mann die Hand und verabschiedete sich. Er schwitzte, als er in die Kälte trat.
    Er ging noch einmal in den Shop. Die beiden jungen Frauen hinter der Theke blätterten in einer Zeitschrift und kicherten. Die Frau am Spielautomaten stand unverändert, aus dem Automaten drangen monotone, abgerissene, wiederkehrende Melodien.
    »Entschuldigung«, sagte Joentaa. »Gibt es noch andere Mitarbeiter, am besten einen, der schon seit vielen Jahren hier arbeitet?«
    »Josefiina«, sagte eine der beiden.
    »Ja?«
    »Josefiina backt hier Pizza. Ich glaube, schon ihr ganzes Leben lang.«
    Die andere kicherte wieder.
    »Und die sind richtig lecker.«
    »Wo ist sie denn?«
    »Hinten, in der Küche. Ich zeig’s Ihnen.«
    Joentaa folgte der Frau. Wie die Wohnung oben war auch der hintere Bereich des Ladengebäudes

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