Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
nickten ihnen zu, und Latvala sagte:
    »Kein Strafzettel, Glück gehabt. Manchmal brauchen die Freunde und Helfer nur eine Minute, um dich aufzuschreiben.«
    Er ließ die Frau auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, stieg selbst ein und steuerte den Wagen in den Abendverkehr. Am Himmel detonierten vereinzelte Feuerwerkskörper, sie fuhren an einem Auffahrunfall vorbei. Einer der Wagen war in den Straßengraben gerutscht, der andere hatte eine leicht verbeulte Kühlerhaube.
    »Nichts passiert, glaube ich«, sagte Olli Latvala, und die Frau nickte.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte Olli Latvala. »Gefällt Ihnen das Hotel?«
    »Ja«, sagte die Frau.
    »Ist Ihnen Bon Jovi über den Weg gelaufen?«
    »Ja«, sagte sie.
    Er wandte den Blick von der Straße ab. »Ja?«.
    »Ja, im Schwimmbad.«
    »Im Ernst?«
    »Ja.«
    »Gibt’s ja nicht«, sagte Latvala.
    »Zumindest sah er so aus. Und er hat englisch gesprochen«, sagte sie.
    »Er wird’s schon gewesen sein«, sagte Latvala.
    »Vielleicht hat er sich gewundert, weil ich nackt geschwommen bin. Ich habe meinen Badeanzug vergessen.«
    Olli Latvala lachte und wendete sich wieder der Straße zu. Er fühlte sich erleichtert, ohne benennen zu können, warum.
    Vielleicht weil er jetzt endlich sicher war, dass diese Frau noch am Leben teilnahm, und sei es nur, indem sie im Schwimmbad einem Rockstar begegnete.
72
    Er saß neben Tuulikki und betrachtete das Bild zweier Leichen unter Trümmern.
    Tuulikki rief einen Kollegen an und bat ihn, sie beim Meeting mit den Kameraleuten zu ersetzen, und Joentaa wählte Grönholms Handy an.
    »Der Einsturz der Eishalle in Turku. Anfang des Jahres«, sagte er.
    »Äh. Ja?«, fragte Grönholm.
    »Du erinnerst dich sicher daran.«
    »Natürlich.«
    »Wir brauchen die Namen der Toten. Eine vollständige Liste. Möglicherweise suchen wir Vater und Sohn.«
    »Vater und Sohn?«
    »Wir haben hier ein Foto. Die Leiche eines Mannes und eines Kindes. Es könnte sein, dass es Vater und Sohn sind. Das ist zunächst nur eine Vermutung, sie liegen irgendwie … eng umschlungen. Jedenfalls brauchen wir die Namen. Bitte Päivi Holmquist, dich bei der Recherche zu unterstützen.«
    »Alles klar. Ist denn … Wieso geht es denn plötzlich um die Eishalle?«
    »Ich erkläre dir alles später. Es muss jetzt schnell gehen. Wir sind nah dran.«
    »Gut. Ich lege gleich los.«
    »Danke dir. Ruf mich sofort an, sobald ihr etwas habt.«
    »Bis dann«, sagte Grönholm.
    »Bis dann«, sagte Joentaa und unterbrach die Verbindung. Tuulikki stand auf und ging zu dem Abspielgerät, auf dem noch das Standbild der lachenden Menschen flimmerte. Und das der Frau in der Mitte, die nicht mitlachte. Tuulikki begann, Knöpfe und Regler zu betätigen, und Joentaa wählte Sundströms Nummer.
    »Hallo? Kimmo?«
    »Wo bist du gerade?«, fragte Joentaa.
    »Im Sender. In der Eingangshalle, bei der Sicherheitskontrolle. Bin gerade angekommen.«
    »Dann fahr bitte gleich hoch in den 36.«
    Sundström schwieg einige Sekunden. »Was meinst du?«, fragte er.
    »Ich bin auch im Sender. Im 36. Stock, im Büro einer Cutterin, Tuulikki.«
    »Tuulikki?«
    »Sag Westerberg Bescheid.«
    »Der steht neben mir.«
    »Dann kommt beide nach oben, wir haben hier etwas, das ihr ansehen solltet.«
    »Ja … gut. Wir sind gleich da«, sagte Sundström.
    »Bis gleich«, sagte Joentaa und unterbrach erneut die Verbindung.
    Er betrachtete die beiden Toten, die in einem Meer von Trümmern und Schnee lagen, vor dem Hintergrund eines sternenklaren, dunklen Winters.
    In seinem Rücken sagte Mäkelä:
    »Wie süß.«
    Tuulikki hatte das Band gewechselt.
    »Identisch«, sagte sie tonlos.
    Hämäläinen lachte. Ein sympathisches Lachen. Das Publikum stimmte ein.
    Joentaa wandte sich zu Tuulikki um und sah auf dem Bildschirm die Puppe in warmem Scheinwerferlicht auf einer Bahre liegen.
    Die Toten haben keine Gesichter, hatte Vaasara gesagt.
    Er dachte an den Moment, der nicht endete, und der Winter hinter den Scheiben des Glasturms war nicht zu unterscheiden von dem anderen Winter, in dem in Turku das Dach einer Eishalle eingestürzt war.
73
    Kai-Petteri Hämäläinen sah Tuula dabei zu, wie sie die gelben Zettel sorgfältig übereinander oder nebeneinander legte. Von Zeit zu Zeit schuf sie neue Anordnungen oder entfernte einen Zettel, weil die darauf notierten Themenschwerpunkte sich als hinfällig erwiesen. Kapanen, der James Bond eine Schusswunde beigebracht hatte, war nur unter der Bedingung angereist, nicht zu der

Weitere Kostenlose Bücher