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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Seifenoper befragt zu werden, in der er seine Karriere begonnen hatte.
    Der Politiker, der einige Wochen lang die Schlagzeilen dominiert hatte, weil er während eines feierlichen Empfangs in Schweden Kokain konsumiert hatte, bat darum, dieses Thema auszusparen, obwohl es der einzige Grund dafür war, dass man ihn überhaupt eingeladen hatte.
    Gleich mehrere Zettel fanden den Weg in den Mülleimer, und Tuula sagte: »Macht nichts. Natürlich müssen wir ihn danach fragen, aber das machst du aus der Situation heraus.«
    Aus der Situation heraus, dachte Hämäläinen.
    »Natürlich«, sagte er.
    »Er wird schon wissen, dass das kommt, so blöd kann er ja nicht sein. Wahrscheinlich will er nur sicherstellen, dass wir ihn nicht zu hart anpacken.«
    »Vermutlich«, sagte Hämäläinen.
    »Ich werde ihn kurz vor der Sendung darüber in Kenntnis setzen, dass wir in der Redaktion zu dem Schluss gekommen sind, die Sache zum Thema machen zu müssen und ihm gleichzeitig signalisieren, dass er sich keine Sorgen machen muss.«
    »Ja«, sagte Hämäläinen.
    Tuula lachte. »Als ob es da noch irgendwas zu vertuschen gäbe. Der Mann scheint gar nicht begriffen zu haben, dass ihm diese Sache erst zu Popularität verholfen hat.«
    »Manchmal begreifen die Leute nicht«, sagte Hämäläinen. Er starrte die gelben Zettel an und spürte nach einer Weile, dass Tuulas Blick auf ihm ruhte.
    »Schön, dass du wieder da bist«, sagte sie.
    »Ja«, sagte er.
    Er dachte an die Kobolde, die ihn angesehen hatten wie einen Fremden.
    Er dachte an Irenes zaghafte Berührungen, an das Zittern, das in ihrer Stimme gelegen hatte und das nur er heraushören konnte.
    Er dachte an die Freundin des Amokschützen, die gesagt hatte, dass sie hätte helfen können. Ganz sicher.
    Er dachte an eine Nacht in Neonlicht, im Krankenhaus.
    »Viel Glück«, sagte Tuula.
    Er nickte.
    »Nach der Sendung schleichen wir uns davon und feiern deine Rückkehr.«
    »Machen wir.«
    »In fünf Minuten Tonprobe?«, sagte Tuula.
    Er nickte.
    Er spürte das Make-Up auf seinem Gesicht.
    Er saß noch einige Minuten, dann stand er auf, und während er die Gänge entlang auf das stetig lauter werdende Stimmengewirr zuging, dachte er an den sehr Großen, der in der Dusche gestanden und die Kinder zum Lachen gebracht hatte, bis sie für eine Weile all das vergessen hatten, was ihnen Angst machte.
74
    Die Frau streicht mit einem weichen Pinsel über ihr Gesicht und sagt, dass sie dringend etwas unternehmen müsse, und sie versteht nicht, was die Frau damit meint.
    »Ihre Lippen. Sie sind ganz rau, sie müssen da was machen.«
    »Ja?«, sagt sie.
    »Ich kann das auf die Schnelle jetzt nicht beheben. Das ist eher ein Long-term-Projekt.«
    »Ja«, sagt sie.
    »Ich kann das jetzt nur ein wenig abdecken«, sagt die Frau und streicht mit dem Pinsel an ihren Lippen entlang.
    »So, schon besser. Mehr geht nicht. Ich brauche mehr Farbe, Ukko.«
    Ukko, ein kleiner, jugendlich wirkender Mann, schiebt ein Tablett heran, auf dem vermutlich die Farben sind.
    Sie schließt die Augen und spürt wieder die Fasern des Pinsels an ihren Wangen. Ein Streicheln, ein Kitzeln.
    »Das kriegen wir hin«, sagt die Frau. »Sie sind ein sehr heller Typ. Ich werde das nicht tilgen, nur ein wenig abmildern.«
    Sie nickt.
    Tilgen, denkt sie. Abmildern. Sie denkt über Worte nach, und in ihrem Rücken fragt Olli Latvala: »Alles bestens hier?«
    »Wir sind gleich so weit«, sagt die Frau. »Die Lippen bekomme ich nicht hin, aber ich habe die wunden Stellen abgedeckt.«
    »Gut«, sagt Olli Latvala.
    Dann läuft sie neben Olli Latvala einen Gang entlang zu einem großen Raum. Auf Tischen an der Wand liegen Tabletts mit belegten Broten und Obst.
    »Bedienen Sie sich«, sagt Olli Latvala. »Möchten Sie was trinken?«
    »Ich glaube nicht«, sagt sie. »Ich bin nicht durstig.«
    »Die Kollegin von der Maske müssen Sie übrigens nicht so ernst nehmen. Ihre Lippen sind völlig in Ordnung.«
    Durch Lautsprecher dringt Musik.
    »Es geht los«, sagt Olli Latvala. »Aber wir haben noch ein wenig Zeit. Am besten, Sie machen es sich bequem, und ich hole Sie hier rechtzeitig ab und begleite Sie, wie versprochen, bis kurz vor die Bühne. In Ordnung?«
    Sie nickt.
    »Bis später. Die weißen Baguettes mit Aal und Ei sind übrigens besonders lecker. Dringend zu empfehlen«, sagt Olli Latvala. »Und falls Bon Jovi hier reinplatzen sollte: Verwirren Sie ihn nicht weiter, der soll heute noch singen.«
    Er lächelt.
    Sie mag das

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