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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Lächeln.
    Dann geht er und lässt sie in dem großen Raum allein.
75
    Paavo Sundström und Marko Westerberg waren außer Atem, als sie den Raum betraten.
    Draußen war der Schneefall in heftigen Schneeregen übergegangen, und auf den Bildschirmen flimmerten eingefrorene Bilder.
    Eine Puppe auf einer Bahre in einem Fernsehstudio.
    Und zwei Leichen, ein Mann und ein Kind, unter Trümmern im Schnee. Der Mann hatte nur ein Bein. Seine Augen waren geschlossen.
    Sundström und Westerberg sahen sich die Bilder lange an, gingen zwischen dem Flachbildschirm und dem Computermonitor hin und her, und Sundström fragte endlich: »Was ist das?«
    »Das Foto stammt vom Einsturz der Eishalle in Turku. Du erinnerst dich. Anfang des Jahres. Im Februar.«
    »Natürlich.«
    »Der Tote auf dem Foto sieht der Puppe sehr ähnlich. Sie sind nahezu … identisch«, sagte Joentaa.
    »Ja«, sagte Sundström und betrachtete die Puppe auf dem Flachbildschirm an der Wand. »Ich verstehe, was du meinst.«
    »Die Frau, die wir suchen, hat den Menschen, um den sie trauert, auf dieser Bahre liegen sehen. Nicht eine Puppe, sondern den Menschen, den sie gekannt hat. Mäkelä ist seinem eigenen Anspruch wirklich gerecht geworden.«
    »Das heißt?«, fragte Westerberg.
    »Er wollte die Realität perfekt nachbilden. Das hat er getan. Für die Frau gab es keinen Unterschied mehr. Während sich die anderen amüsierten, sah sie auf der Bahre einen echten Menschen liegen, genau so, wie sie ihn im Moment seines tatsächlichen Todes gesehen hat … und … vielleicht … vielleicht war sie selbst in der Eishalle und hat das Unglück überlebt.«
    Sundström nickte, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
    »Außerdem glaube ich, dass sie die Sendung nicht im Fernsehen gesehen hat, sondern hier. Sie war im Publikum, im Studio.«
    »Was?«, sagte Sundström.
    »Können wir das andere Band nochmal laufen lassen?«, fragte er.
    Tuulikki nickte. Sie tauschte die Bänder aus und spulte zu der Stelle, an der acht Menschen lachten und einer nicht.
    »Ich glaube, das ist die Frau, die wir suchen. Die Frau in der Mitte«, sagte Joentaa.
    Sundström schwieg. Er fokussierte das Bild mit zusammengekniffenen Augen.
    »Das ist ja schrecklich«, sagte Westerberg im Hintergrund.
    Sundström nickte. »Ich verstehe, was ihr meint. Dennoch kann das einfach eine Frau sein, die das Ganze etwas weniger witzig fand als die anderen.«
    »Das kann sein«, sagte Joentaa.
    »Die Frau sieht … das sieht schrecklich aus«, sagte Westerberg.
    »Ich habe Petri gebeten, gemeinsam mit Päivi Holmquist alle Daten zu den Opfern des Unglücks in der Eishalle zu ermitteln«, sagte Kimmo Joentaa. »Das müsste der schnellste Weg sein. Es liegt auch eine Liste der Besucher der Talkshow vor, aber die ist unvollständig, und da es keine Platzkarten gibt, wird es schwierig sein, die Frau schnell herauszufiltern. Und wie du richtig sagst, können wir uns in Bezug auf die Frau im Publikum nicht sicher sein.«
    Sundström nickte.
    »Petri wird sich bald melden, dann wissen wir mehr.«
    »Ja«, sagte Sundström.
    Tuulikki war aufgestanden und stand über den Computermonitor gebeugt. »Wer macht eigentlich solche Fotos?«, fragte sie.
    Joentaa, Sundström und Westerberg folgten ihrem Blick.
    Das Kind lag von der Kamera abgewandt, es schien den Mann umarmen zu wollen, und eine Hand des Mannes ruhte auf dem unnatürlich flachen Körper des Kindes. Das Bild wirkte im Licht, das die Kamera erzeugt hatte, unecht, als sei die Szene für den Fotografen inszeniert worden.
    »Wer macht solche Fotos?«, fragte Tuulikki noch einmal.
76
    Die Blicke ruhten auf ihm. Die Kameras ruhten auf ihm. Seine Beine fühlten sich weich an, er spürte ein Lächeln auf seinem Gesicht und Schweiß auf der Stirn. Der Knopf im Ohr funktionierte. Der Assistent stand wenige Meter vor ihm und hielt mit beiden Händen das Banner mit den Stichworten in die Höhe. Die erste Anmoderation wartete im Teleprompter. Den Satz, den Tuula ihm auf den Leib geschrieben hatte, hatte er vergessen. Er stand im Zentrum der Welt und suchte nach Worten.
    »Willkommen«, sagte er. »Ich freue mich sehr, heute Abend hier zu sein. Ich freue mich, dass Sie … dass Sie bei mir sind.«
    Er wandte sich von der Kamera ab und ging zu der knallig roten Sofagruppe, auf der er den ersten Gast begrüßen sollte. Gemütlich sah sie aus.
    Der Satz, den Tuula formuliert hatte, hatte anders geklungen. Besser vermutlich.
    Er spürte die Kamera in seinem Rücken. Er setzte

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