Im Wirbel der Gefuehle
musste sie keinerlei Forderungen mehr ertragen, ihm jederzeit zu Willen zu sein, keine herablassenden Bemerkungen über ihre nicht der aktuellen Mode entsprechenden Kleider erdulden, nicht mehr zusehen, wie Marguerite geärgert wurde, bis sie in Tränen ausbrach. Paul musste keine höhnischen Anfeindungen und Schläge von einem Mann, der gerade mal zehn Jahre älter war als er selbst und nur halb so kräftig, über sich ergehen lassen.
Vorbei war auch, dass ihre amerikanische Mutter mit spöttischen Bemerkungen bedacht wurde und ihren Fragen nach dem Verbleib des Ehegatten nur Flüche als Antwort folgten. Ebenfalls nicht mehr nötig waren die Bitten, doch einmal etwas weniger Cognac nach dem Essen zu trinken und ihren Vater nicht in die übelsten Spielhöllen des Vieux Carre mitzunehmen.
Ja, danach war alles wirklich viel friedlicher.
Jetzt würde es jedoch wieder von Neuem beginnen.
Sie ließ den Vorhang los, den sie fest umklammert hatte, und glättete sorgsam die Falten des Brokatstoffes, bevor sie sich langsam wieder in ihr Bett begab. Schlafen konnte sie allerdings nach wie vor nicht. Die erste frische Morgenbrise wehte herein, wirbelte das Mosquitonetz auf und kühlte die Tränen auf ihrem Gesicht.
Sechstes Kapitel
Fahles Lampenlicht fiel auf die Balkontüren, die aufgrund der nächtlichen Schwüle offen gelassen wurden. Vinot war zu dieser Stunde immer noch auf, oder was noch wahrscheinlicher schien, er war erst gar nicht zu Bett gegangen. Christien formte seine Hände vor dem Mund und ließ ein leises Signal ertönen. Man sah, wie sich der Schatten des alten Fechtmeisters im Salon bewegte, wie ein grauer Geist zeichnete er sich im Licht der Lampe an der Zimmerdecke ab, um kurz darauf zu verschwinden. Ein paar Minuten später öffnete sich die Tür, die zur Straße hinausging, mit einem großen Schwung, ohne dabei in den Angeln zu quietschen.
»Du bist zurück, mein Sohn«, sagte Lucien Vinot freudig, aber mit geschärftem Blick. »Ich hatte dich nicht so früh erwartet.«
Christien trat hinein und schloss die Tür hinter sich.
»Der erste Teil ist erledigt, ja mehr noch, mir wurde sogar ein Schlafzimmer auf River’s Edge zugewiesen.«
»Also hast du dich dort schon einquartiert, ausgezeichnet.« Der maitre drehte sich um und schlurfte den Gang hinunter, an dessen Ende die Treppen in den ersten Stock führten, wo sich der große Salon befand. Während er langsam hinaufstieg, fragte er über die Schulter hinweg Christien: »Hattest du keine Problem mit Cassard?«
»Überhaupt nicht. Er hatte mich natürlich schon erwartet.«
»Und seine Tochter, war sie einverstanden?«
Christien folgte seinem einstigen Mentor und trug die Lampe vor sich her, während dieser sich am Geländer festhielt, um die Stufen leichter bewältigen zu können. »So würde ich das nicht direkt formulieren, aber sagen wir einmal so, sie ließ sich letztendlich überzeugen.«
»Das habe ich mir schon gedacht, denn du hast eine recht überzeugende Art an dir.«
»Sie ließ sich allerdings mehr von der Tatsache beeindrucken, dass ihre Tochter mich mag. Eine unschöne Angelegenheit. Fast wäre ich geneigt, alles wieder rückgängig zu machen.«
Oben auf dem Treppenabsatz angekommen, blieb der maitre stehen und schaute Christien musternd an. Seine langen, grauen Haare hingen wild, ohne bändigende Pomade an ihm herunter und verliehen ihm eine Art silbrigen Heiligenschein, der über seinem Kopf und seinen Schultern zu schweben schien. »Aber du bist nicht überzeugt genug, wirklich alles rückgängig zu machen, oder?«
Christien dachte an Reine, wie sie, gleich einer Göttin, in ihrem fast durchsichtigen Nachthemd vor ihm gestanden hatte, wie die Falten des Stoffes ihre Füße umspielten und sie die Lampe gleich einem Leuchtfeuer hochhielt. Er erinnerte sich an ihre weibliche Zerbrechlichkeit, an den Schein ihrer Haare, die im sanften Licht der Lampe glänzten. Er fühlte erneut die zarte Berührung ihrer Hand auf seiner Haut, als ob ihre Wärme immer noch spürbar wäre. »Nein«, antworte er knapp.
Vinot nickte erleichtert und betrat den Raum, der ihm gleichermaßen als Salon und Schlafgemach diente. Er zeigte auf einen Tisch in der Mitte des Zimmers, wo Christien die Lampe abstellen sollte. Währenddes-sen schenkte er aus einem Dekanter zwei Gläser mit Sherry ein und reichte ihm eines herüber. »Hattest du Zeit, dich ein wenig umzusehen?«
Christien nickte. »Aber es hat mir nichts gebracht, alles schien so, wie es sein
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