Im Wirbel der Gefuehle
seinem alten Fechtmeister diesen Gnadendienst. Vinot hatte ihn einst zitternd vor Hunger und Kälte auf der Straße aufgelesen, als er vor Jahren nach New Orleans kam, hatte ihm zu essen gegeben und ihm alles beigebracht, was er wusste.
Seine Tochter Sophie, die fröhliche und lebhafte Sophie, war wie eine jüngere Schwester für ihn gewesen. Sie hatte ihm spielerisch gezeigt, wie man sich galant verbeugt, die Hand einer Dame nahm und Smalltalk führte. Sein eigener Vater hatte ihm zwar Lesen und Schreiben beigebracht, doch nur sehr rudimentär, denn in den Sümpfen gab es kaum Bücher, um zu üben. Sophie hatte freundschaftlich ihre mit ihm geteilt und ihn dazu angeregt, auch schwierigere Wörter zu lernen und kompliziertere Passagen zu lesen sowie seine Schrift zu verbessern. Im Gegenzug hatte er ihr den Lauf der Jahreszeiten erklärt, das Verhalten der Tiere, wie man Knoten machte, Fische fing, das Schwimmen beigebracht und wie man sich verteidigte.
Er brachte ihr bei, jungen Männern zu vertrauen, und ließ sie glauben, dass diese ihre Leidenschaften unter Kontrolle hätten. Durch ihn wurde sie selbstbewusster, ja fast unerschrocken. Er war somit die Ursache für ihren tiefen Fall, wenn nicht gar das Mittel zum Zweck.
Christien wunderte sich, ob er eigentlich nicht selbst ein wenig wahnsinnig war, als er sich mit seinem maitre einverstanden erklärte, diese Art der Vergeltung auszuarbeiten. Oder vielleicht wünschte er sich auch nur, diese Ausrede haben zu können.
»Was wäre, wenn du falschliegen würdest?«, fragte er Vinot, den Blick nicht von dem rotbraunen Sherryglas wendend. »Was, wenn Theodore Pingre tot wäre, ganz so, wie alle behaupten?«
»Dann wärst du der Eigentümer einer ertragreichen Plantage, hättest eine junge, gut aussehende Frau und eine neue Familie. Was könnte es denn Besseres geben?«
»Und wenn du recht hast, dann wäre die Tochter eine Bigamistin und ich kein Ehemann. Du wirst mir verzeihen, wenn ich das dann weniger befriedigend fände.«
»Gefällt sie dir?«, fragte ihn sein Mentor erwartungsvoll.
Christien grinste ihn an, ohne ihm aber eine Antwort zu geben. Sollte der alte Mann doch denken, was er wollte. Manches war eben Privatsache.
»Es wäre wünschenswert, wenn man das letzte Opfer, also Madame Pingre zu heiraten, nicht erbringen müsste. Habe ich dir gegenüber eigentlich schon meine Dankbarkeit ausgedrückt, dafür, dass du so weit gegangen bist?«
»Das ist nicht nötig.«
»Doch, das ist es. Ich stehe so tief in deiner Schuld, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Diese ganze Geschichte ...«, Vinot hielt kurz inne, um das Gesagte mit einer Handbewegung zu untermauern, » ... nichts wäre ohne dich möglich gewesen.«
»Ich bitte dich. Auch ich habe meine Gründe.«
»Natürlich, die Bruderschaft und ihre Grundsätze, die dazu verpflichten, gegen so ein Verhalten, wie es dieser Pingre an den Tag legte, vorzugehen. Der Nachtfalke schwingt sich auf zu großen Taten.«
Christien zuckte zusammen, als er diesen Namen hörte, der einerseits unverrückbar mit seiner Kindheit und anderseits mit seinen Unternehmungen für die Bruderschaft verknüpft war. Das hatte seine nützlichen Seiten gehabt, doch er fühlte sich schon seit Langem nicht mehr an ihn gebunden. »Ich tue es auch für Sophie«, ergänzte Christien. »Sie war mir ans Herz gewachsen und hatte dieses Schicksal nicht verdient. Aber was hat Reine Pingre damit zu tun?«
»Wenn diese Frau und ihre Familie Theodore Pingre versteckt halten, dann verdient sie, ihren guten Namen zu verlieren, genauso wie er meiner Sophie geraubt wurde. Falls dem nicht so ist, dann kannst du mit ihr machen, was du willst. In jedem Fall würde dir River’s Edge bleiben.«
Vinot ließ das alles so einfach klingen. Christien wusste aber, dass dem nicht so war, spätestens seit dem Moment, als er Reine vor dem Davis Theater in die Augen gesehen hatte. Seit damals war viel geschehen, er hatte sich mit ihr unterhalten, sie über den Tisch hinweg angelächelt und ihr Versprechen gehört, ihn zu heiraten. Er hatte eine Ahnung davon bekommen, wie es hätte sein können, ein Heim und eine Familie zu haben, wenn die Dinge in seinem Leben anders gelaufen wären.
Es könnte gut sein, dass alles anders kommen würde, als sein Mentor es vorgesehen hatte. Vielleicht würde es nicht möglich sein, Reine Cassard zum Bleiben zu bewegen, aber vielleicht könnte er sie auch nicht einfach gehen lassen.
Siebtes Kapitel
Christien war noch
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