Im Wirbel der Gefuehle
diese Erniedrigung erspart.
Sie hatte nicht gehört, wie er wegging, was auf einen heimlichen Aufbruch hindeutete. Es war sicherlich höchstens eine Stunde her, als sie ihn die Treppen hinaufkommen hörte. Wie weit mochte er wohl in der kurzen Zeit geritten sein?
Entschlossen drehte sie sich auf einmal um und begab sich schnurstracks in ihr Zimmer. Ohne ihre Zofe zu Hilfe zu holen, schälte sie sich aus ihrem Abendkleid, indem sie sich zuerst aus den Ärmeln befreite und dann das ganze Kleid an ihrem Körper solange zurechtrückte, bis die Rückseite vorne war, sodass sie bequem die kleinen Knöpfe durch die Schlaufen ziehen konnte, bis das Gewand sich locker abstreifen ließ. Danach entledigte sie sich ihrer Unterröcke, bedauerte aber sehr, dass sie so eng in ihr Korsett eingeschnürt war, dass sie dies nicht lösen konnte. Unbeirrt griff sie daraufhin nach ihrem marineblauen Reitkleid aus Popeline, das an dem dafür vorgesehenen Kleiderhaken hing. Da sie gerne in aller Herrgottsfrüh einen Ausritt machte, war ihr Reitkostüm so angefertigt, dass man es ohne fremde Hilfe anlegen konnte, was ihr in diesem Augenblick sehr gelegen kam. In aller Eile fummelte sie die Häkchen zu und schlüpfte dann noch in ihre Reitstiefel. Den schleppenartigen Überrock unterm Arm, schlüpfte sie schließlich eilig aus dem Haus. Kurze Zeit später galoppierte sie schon den Fluss entlang.
Ihr Ziel war New Orleans, denn Christiens Weg hatte ihn sicherlich dort hingeführt, etwas anderes konnte sie sich kaum vorstellen. Sie gab acht, ob sich vor ihr eine Staubwolke auftat, die ihn verriet. Unabhängig davon, was sie zu Marguerite gesagt hatte, kam es ihr nicht in den Sinn, ihn an seinem Vorhaben zu hindern. Sie brannte nur darauf, endlich zu wissen, wohin er wohl geritten war und was er dort zu tun hatte. Die einzige Möglichkeit, dies herauszufinden, war nun einmal, ihm zu folgen, sobald sie seiner gewahr würde. Mit Umsicht und ein bisschen Glück würde sie das schaffen, wenn sie ihm konsequent auf den Fersen blieb.
Die nächtliche Luft war drückend vor Hitze, zum Schneiden dick. Stechmücken umkreisten sie und versuchten, den Schweiß von den Rändern ihrer Lippen und Augen aufzusaugen. Wolken von Moskitos stiegen aus den am Wegesrand auftauchenden Wassergräben auf und plagten ihr Pferd. Auf dem Weg tummelten sich zahlreiche Krabbeltiere und stoben ins Unterholz, sobald sie sich näherte. In der Ferne hörte man eine Eule schreien. Ganz hinten am Horizont, jenseits des Flussdammes, durchschnitten leuchtende Blitze den Nachthimmel.
Sie war kaum eine Viertelmeile außerhalb der Stadt, als sie schließlich Christien sichtete. Eine dunkle, breitschultrige Gestalt auf einem Pferderücken, die kurz erleuchtet wurde, als sie an dem auf die Straße fallenden Licht einer Taverne vorbeiritt. Reine zügelte ihre Stute und zwang sie in den Schritt, um sie dann vorsichtig in den Schatten der Bäume zu lenken, solange bis der Abstand zu ihm wieder größer wurde. Als sie das Gefühl hatte, dass er sie nicht mehr erkennen konnte, auch wenn dies sowieso recht unwahrscheinlich gewesen wäre, trieb sie ihr Pferd wieder an, sodass er für sie immer knapp in Sichtweise blieb.
Er war nicht in Richtung seiner bevorzugten Aufenthaltsorte unterwegs, denn die Salons der Fechtmeister lagen auf der Passsage de la Bourse. Sein Weg führte ihn aber auch nicht in die dunkleren Gassen der Stadt, wo er vielleicht hoffen konnte, auf einige freizügige Frauenzimmer zu stoßen. Stattdessen verließ er die Dammstraße auf der Höhe der Rue St. Philippe und ritt diese einige Häuserblocks entlang. Von dort aus bog er noch einmal ab, überquerte eine Kreuzung und hielt schließlich an dem Seiteneingang eines Hauses, das auf die Rue Royale zeigte. Er stieg ab und schlang die Zügel seines schwarzen Hengstes um einen dafür vorgesehen Eisenring an der Wand eines Hauses auf der gegenüberliegenden Seite. Seinen Reitmantel zog er aus und befestigte ihn am Sattel. Dann schritt er über die Straße auf die Eingangstür zu, wo er einige Worte mit dem Majordomus wechselte, der ihm die Tür öffnete.
Reine blieb unentdeckt in einer kleinen Seitengasse, stieg von ihrem Pferd herab und band die Stute an einen Gartenpfosten. Zu Fuß wagte sie sich dann ein wenig weiter vor. Wahrscheinlich wurde in diesem Haus der Rue Royale eine der in New Orleans üblichen Soireen gegeben, denn Licht drang durch die offenen Balkontüren im ersten Stock. Die Klänge eines Walzers drangen
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