Im Zauber der Gefuehle
sich dort mit Kunden aus den höheren Schichten sowie Vertretern der Banken zu treffen, die verständlicherweise davor zurückschreckten, zur Fleet Ditch zu kommen. Doch Nick hatte die meiste Zeit in einem Bordell in der Nähe des Kanals verbracht und sich allmählich an den permanenten Gestank gewöhnt. Dort hatte er Pläne geschmiedet, Fallen gestellt und geschickt ein Netzwerk an Schmugglern und Informanten aufgebaut. Immer war er davon ausgegangen, reich und jung zu sterben und hatte innerlich den Worten eines Verbrechers zugestimmt, dessen Hinrichtung am Galgen von Tyburn er beigewohnt hatte: »Ein sinnvoll verbrachtes Leben ist eines, das kurz und lustig war.«
Doch just als Nick seine wohlverdiente Strafe ereilen sollte, hatte Sir Ross Cannon sich eingeschaltet und ihm den berüchtigten Handel vorgeschlagen. Auch wenn Nick es nicht gerne zugab, waren die Jahre, die er als Runner verbracht hatte, die besten seines Lebens gewesen. Obwohl er es immer gehasst hatte, wenn Sir Ross sich in sein Leben einmischte, ließ sich nicht leugnen, dass sein Schwager sein Leben zum Positiven hin gewendet hatte.
Neugierig ließ Nick den Blick über die dunklen, überfüllten Gassen streifen, wo Unmengen von Menschen sich an heruntergekommenen Häusern vorbeischoben, die scheinbar wie Schuhkartons aufeinander getürmt waren. Hierher zu kommen, nachdem er eben noch bei seiner adretten, hübschen Frau in dem friedlichen kleinen Haus in der Betterston Street gewesen war, fühlte sich unpassend an. Eigenartigerweise war die erwartungsvolle Vorfreude auf die Jagd auch nicht halb so groß wie früher. Nick war davon ausgegangen, dass er ein wildes, prickelndes Gefühl empfinden würde, sobald er durch die gefährlichste Gegend Londons schlich, aber stattdessen ...
Zum Teufel, es tat ihm fast Leid, dass er eingewilligt hatte, heute hierher zu kommen und Sayer zu helfen.
Wieso nur? Er war kein Feigling, kein verhätschelter Aristokrat. Es war nur ... dieses verblüffende Gefühl, nicht mehr hierher zu gehören. Er hatte etwas zu verlieren und wollte es nicht aufs Spiel setzen.
Verwirrt schüttelte er über sich selbst den Kopf, als er die Blood Bowl Taverne betrat und Sayer an einem Tisch in einem dunklen Winkel vorfand. Die Spelunke war genauso widerlich und schmutzig wie immer, es stank nach Abfällen, Gin und Schweiß.
Sayer begrüßte ihn mit einem freundlichen Grinsen.
Der junge, verwegene Sayer mit seinem beeindruckenden Körperbau war zweifellos Sir Grants bester Runner, seitdem Nick die Truppe verlassen hatte. Obwohl Nick froh war, den Freund wiederzusehen, machte sich ein unangenehmes Gefühl in seiner Magengrube breit, als er die unbekümmerte Jagdlust in den Augen des anderen glitzern sah und feststellen musste, dass er sie nicht teilte. Nick zweifelte nicht daran, dass er immer noch über seine Fähigkeiten und Instinkte verfügte, doch das Jagdfieber hatte ihn verlassen. Er wollte zu Hause bei seiner Frau sein.
Verflucht, dachte er grimmig.
»Morgan wird mir eigenhändig den Hals umdrehen, wenn er erfährt, dass ich dich um Hilfe gebeten habe«, sagte Sayer kläglich.
»Er wird es nicht erfahren.« Nick ließ sich am Tisch nieder und schüttelte verneinend den Kopf, als eine Bedienung mit einem Humpen Bier auf ihn zukam. Das Mädchen verzog schmollend das derbe Gesicht und zwinkerte ihm kokett zu, bevor sie sich wieder davonschlängelte.
»Ich denke, ich könnte es alleine erledigen«, flüsterte Sayer, um nicht belauscht zu werden. »Aber ich kenne die Schlupflöcher und Hinterausgänge hier in der Fleet Ditch nicht so gut wie du; das tut niemand. Und du bist der Einzige, der den Kerl auf Anhieb identifizieren kann, weil du schon einmal mit ihm zu tun hattest.«
»Um wen handelt es sich?« Nick stützte die Ellbogen auf den Tisch, um sie gleich wieder fortzuziehen, als er spürte, wie seine Ärmel an der hölzernen Oberfläche festklebten.
»Dick Follard.«
Der Name traf Nick überraschend. Follard gehörte zu der Kategorie Verbrecher, die man als kriminelle Elite Londons bezeichnete, er war sowohl geschickt als auch vollkommen skrupellos. Nick hatte Follard vor zwei Jahren verhaftet, nachdem der Bastard das Haus eines wohlhabenden Anwalts ausgeraubt und den Mann getötet sowie die Frau vergewaltigt hatte, nachdem sie sich zur Wehr gesetzt hatten. Dennoch hatte man Follard den Galgen erspart und ihn stattdessen deportiert, nachdem er mit Beweisen gegen seine Komplizen herausgerückt war.
»Follard wurde nach
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