Im Zeichen der Angst Roman
an Plotzer weitergereicht. Das zum einen. Zum anderen habe ich heute von Rena und Martin etwas sehr Interessantes gehört.«
Ich schwieg. Ich ließ ihn ein bisschen zappeln. Das brauchte er manchmal.
»Komm schon. Mach es nicht so spannend.«
»1951 setzte sich ein Meinhard Laufer mit zwei Lucas-Cranach-d. J.-Bildern von Solthaven aus in den Westen ab. Nur zwei Tage zuvor hatte sich bereits der Solthavener Fabrikant Friedrich Alexander Brummer in den Westen abgesetzt. Dem gehörten die Bilder eigentlich.«
Claus pfiff durch die Zähne. »Und du schlussfolgerst?«
»Dasselbe wie du. Eines der Bilder hängt bei unserem Chef Christian Schiller im Büro, das andere hing in Peter Plotzers. Erinnerst du dich nicht?«
»Er hat doch damals beim Interview behauptet, das sei eine Kopie.«
»Er hat gelogen«, sagte ich.
Wir besprachen noch ein paar Details, dann legten wir auf.
Der Schneefall war in der Zwischenzeit in ein Schneetreiben
übergegangen, und der monoton arbeitende Scheibenwischer hatte Mühe, die Schneelast von der Scheibe zu schieben. Sein regelmäßiges Auf und Ab war das einzige Geräusch im Wagen.
Ich steckte eine CD in den CD-Spieler. John Coltranes Tenor-Saxophon füllte traurig und seltsam weltfern den Innenraum des Rovers.
32
Kurz nach zwei Uhr hielt ich vor dem hohen, schmiedeeisernen Tor, das zum Grundstück der Plotzers führte. Es öffnete sich, kaum dass ich das Auto verlassen hatte, um im Strahl meiner Scheinwerfer auf den Klingelknopf zu drücken.
Als ich durchfuhr, griff ich nach meiner Tasche. Ich knipste die Leselampe über dem Rückspiegel ein und sah nach meiner Glock. Es beruhigte mich, sie sicher und geladen auf dem Beifahrersitz in meiner Tasche zu wissen.
Links und rechts der Zufahrt leuchteten vor den braunen Baumstämmen Bodenlampen wie bei einer Einflugschneise.
Ich stellte den Wagen in der Auffahrt vor dem Herrenhaus ab und stieg aus der Wärme des Autos in das dichte Schneetreiben. Ich verharrte mit den Fingern auf dem Türgriff des Rovers und sah mich um. Niemand war zu sehen. Ich bückte mich ins Auto, zog die Handtasche vom Beifahrersitz und schlug die Tür zu. Für ein paar Sekunden blieb die Innenraumbeleuchtung noch eingeschaltet, wie es bei allen modernen Autos der Fall ist.
Ich konnte nicht besonders weit sehen, weil der Schnee so dicht fiel und mich die Innenbeleuchtung blendete, doch jeder sah mich, solange das Licht im Auto brannte. Der Gedanke gefiel mir nicht. Endlich erlosch das Licht, und für einen Augenblick fühlte ich mich noch schutzloser, denn meine geblendeten Augen nahmen nur schemenhafte Umrisse wahr. Ich zog meinen Mantel vor der Brust zusammen und ging die paar
Meter bis zum Haupthaus, die Handtasche dicht an meinen Körper gedrückt. Nach ein paar Schritten erfassten mich die Bewegungsmelder, vor der Eingangstür leuchtete eine Lampe auf. Ich gebe eine vorzügliche Zielscheibe ab, dachte ich und mahnte mich selbst, nicht hysterisch zu werden.
Die Stufen hinauf zur Haustür waren frisch gefegt und mit Sand bestreut. Erst gestern war ich hier mit Josey hinaufgegangen, ihre warme, kleine Hand fest in meiner. Die Erinnerung schien mir so fern und fremd, als wäre es in einem anderen Leben geschehen.
Ich klingelte.
Der Butler mit dem Gesicht einer Bulldogge riss die Tür auch dieses Mal auf, als wollte er sie aus den Angeln heben. Wenngleich es spät nachts war, trug er noch immer seine offizielle Uniform: schwarze Hose, silbergraue Weste mit schmalen Streifen und weißes Hemd mit silbergrauer Fliege. Ich war versucht, ihn zu fragen, ob er Thomas Hart hieße. Ich unterließ es. Ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren, etwas zunächst weit Wichtigeres.
Er wünschte mir einen »Guten Abend« und wartete schweigend, als ich mir Sand und Schneematsch, die an den Stiefelsohlen klebten, abtrat. Schweigend führte er mich auch in die Eingangshalle vor einen mannshohen Spiegel. Ich sah aus wie ein Gespenst. Blass, übermüdet und mit tiefen dunklen Ringen unter den Augen. Ich zog den Mantel aus, darunter trug ich noch immer das schwarze Kostüm mit der weißen Bluse von der Beerdigung. Der Butler nahm mir den Mantel ab und hängte ihn auf einen Bügel.
Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, in dem ein paar Flocken schmolzen. Der Butler reichte mir eine Haarbürste mit echten Wildschweinborsten, die so unbenutzt aussah, als hätte er sie bis zu diesem Abend extra für mich aufbewahrt. Ich konnte nicht umhin, ihn fragend anzusehen, doch sein
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