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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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Gesicht war so unbeweglich wie ein Stein. Ich richtete mir das Haar
und gab ihm die Bürste zurück, öffnete meine Tasche und holte meine Puderdose heraus. Ich konnte ein bisschen Farbe vertragen. Ich nahm einen braunen Lippenstift und fuhr mir schnell und routiniert über die Lippen. Im Spiegel sah ich den Butler an. Ich hätte auch eine Statue anschauen können.
    Kaum merklich straffte ich die Schultern.
    Ich war bereit, dem Vergewaltiger meiner Mutter gegenüberzutreten.
     
    Gleich links neben dem Treppenaufgang, der zu Davids und Katharinas Wohnräumen führte, öffnete der Butler die Tür zu einer Bibliothek, die nur von einer Leselampe und dem rötlichen Schein von ein paar verglimmenden Holzscheiten in einem Marmorkamin beleuchtet wurde.
    Ich trat ein, blieb einen Lidschlag lang stehen und wagte kaum zu atmen. Der Raum war stickig und überheizt. Hinter mir schloss sich leise die Tür.
    Ich konzentrierte mich. Ich hatte mir vorgenommen, Peter Plotzer so unbeteiligt zu begegnen wie jedem anderen Menschen in meinem Leben, den ich nur ein - oder zweimal aus beruflichen Gründen getroffen hatte.
    Dennoch war ich auf seinen Anblick nicht vorbereitet.
    Ich hatte Peter Plotzer 14 Jahre lang nicht gesehen, und damals, bei unserem Interview anlässlich seiner und Davids Ehrung als »Hamburger des Jahres« 1995, war er trotz seines Alters ein großer, stattlicher Mann gewesen, dessen Schultern unbarmherzig gerade wie Stahlträger über der Brust lagen und in zwei Oberarme übergingen, deren kräftiger Bizeps durch den feinen Stoff des Anzugs drückte.
    Davon war nicht mehr viel übrig. Unter der Leselampe nah am Kamin saß ein hagerer Mann in einem dunkelblauen Pullover, darunter ein hellblaues Hemd und um den Hals einen gelben Schal gelegt. Sein Kopf zitterte, die Haut über den eingefallenen Wangen spannte sich, seine Schultern hingen rund
nach vorn und über den zitternden Knien lag eine Decke. Der ganze Mann schien ausgezehrt und hinfällig.
    Nur seine Hände hatten nichts von ihrer Imposanz verloren. Groß und derb wie Schaufelbagger umfassten sie meine Hand, als ich ihn begrüßte. Unter schweren Lidern sahen seine Augen müde und rot über den Rand einer Lesebrille zu mir hoch. Er schob sie von der Nase in die Stirn, wo sie wie ein zusätzliches Gliedmaß hing.
    »Setzen Sie sich zu mir.« Seine einst vitale Bassstimme tönte müde durch den Raum, während er mit zitternder Hand auf einen Sessel auf der gegenüberliegenden Seite eines runden Beistelltisches wies. Eine Flasche Rotwein und zwei Gläser standen darauf. Eines war halb voll.
    »Bedienen Sie sich.«
    Ich beugte mich etwas nach vorn, denn er sprach undeutlich.
    »Durch meine Krankheit fällt es mir schwer, ein guter Gastgeber zu sein«, sagte er und verzog die Lippen zu einem Lächeln, während der Rest seines Gesichtes zu einer Maske erstarrt blieb.
    Ich schenkte mir ein halbes Glas Wein ein und prostete ihm zu.
    Peter Plotzer hatte Parkinson, und er hatte diese unheilbare Krankheit des Nervensystems auch schon 1995 gehabt, als ich ihn das erste und bislang letzte Mal getroffen hatte. Allerdings hatte man es ihm damals noch nicht angemerkt. Parkinson begann schleichend, oft mit einem Kribbeln in den Beinen, einem Aufflackern kurzer zittriger Momente, die jedoch zunächst wieder verschwanden, als ließe die Krankheit dem Patienten Zeit, sich an die Beeinträchtigungen zu gewöhnen. Doch irgendwann zitterten der Kopf und die Glieder. Die Gesichtszüge nahmen eine seltsam starre Form an, das Sprechen wurde leise, mitunter undeutlich, und bei so manchem wurden die Schritte kürzer und unsicherer. Niemand konnte voraussagen, wie die Krankheit verlaufen würde: Muhammad Ali saß schließlich im
Rollstuhl, Katharine Hepburn erhielt 1985 ihren vierten Oscar für das »Haus am See«, und das, obgleich ihr Kopf schlimmer zitterte als der eines Wackeldackels.
    »Danke, dass Sie mich noch so spät empfangen«, sagte ich und stellte das Glas ab.
    »Frau Steinfeld«, sagte er und prostete zitternd zurück. »Das Alter mag Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Eines seiner Vorzüge ist, dass man weniger Schlaf braucht. Um genau zu sein, vier Stunden reichen mir schon lange.«
    »David sagte, Sie gehen gegen ein Uhr ins Bett.«
    »Das mag sein, doch es heißt nicht, dass ich um diese Zeit schlafe. Wenn der Tod so kurz bevorsteht wie bei mir, dann scheint es, dass der Schlaf ein Einsehen hat und einen nur kurz heimsucht, als wollte er einen nicht allzu sehr

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