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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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behelligen.«
    Ich konnte auch nicht schlafen. Deshalb war ich hier. Ich hätte sehr wohl erst am nächsten Vormittag mit ihm sprechen können, wie David es vorgeschlagen hatte. Doch wozu? Ich würde mich schlaflos in meinem Bett wälzen und kein Auge schließen. Wie sollte ich schlafen in dem Wissen, dass meine Tochter irgendwo da draußen vor Angst verging und dass es auch für sie keinen Schlaf geben würde, der ihr diese Angst zumindest für eine Weile nehmen konnte.
    Josey war nicht nur ein entführtes Kind. Das allein war traumatisch genug, und es würde sie ein Leben lang verfolgen. Darüber hinaus aber war sie ein sechsjähriges Mädchen, das wusste, dass seine Schwester bei einer Entführung gestorben war. Auch wenn ich selbst nie mit ihr darüber gesprochen hatte - andere hatten es an meiner Stelle getan, und in den letzten Tagen war mir klar geworden, dass sie mehr darüber wusste, als ich je vermutet hatte, und dass ich sie mit diesem Wissen allein gelassen hatte.
    »Frau Steinfeld?«, drang Peter Plotzers Stimme wie aus weiter Ferne zu mir.
    Ich schloss kurz die Augen und sammelte mich. Ich sollte
mich konzentrieren. »Verzeihen Sie«, sagte ich. »Ich bin übermüdet, und die Wärme des Kamins ist nach der langen Fahrt fast ein wenig viel.«
    »Das verstehe ich. Doch Sie müssen verzeihen. Ich sitze den ganzen Tag, deswegen fröstle ich schnell.« Er griff nach meiner Hand, drückte sie und lächelte mir aufmunternd zu unter dem beständigen Zittern des Glases in seiner anderen Hand. Ich starrte auf die Hand mit braunen Altersflecken, die zitternd und warm auf meiner lag. Ich fragte mich, wie sie wohl 62 Jahre zuvor ausgesehen und wie meine Mutter sie empfunden hatte? Wie fühlte es sich an, wenn man vergewaltigt wurde? Fühlte man überhaupt etwas, oder war man viel zu sehr mit der Gegenwehr beschäftigt? Glaubte man, was einem dabei geschah, oder fühlte man sich eher wie in einem Film? Was überwog später, wenn man darüber nachdachte: Angst, Ekel, Selbstekel oder Wut? Wie war das, wenn man sich wehrte und spürte, dass die Kräfte versagten? Wie war es, wenn man gar nicht fähig war, sich zu wehren, weil eine Waffe auf einen gerichtet war? Wie fühlte man sich für den Rest seines Lebens?
    Endlich nahm er seine Hand weg.
    Ich musterte ihn, doch wenn ich erwartet hatte, in seinen Augen etwas zu lesen, so wurde ich enttäuscht. Seine Augen waren so braun wie die seines Sohnes - doch es standen weder Mitleid noch Wärme noch ein schlechtes Gewissen in ihnen. Bestenfalls Neugierde und etwas, das ich nicht benennen konnte.
    Ich hatte ein paar unangenehme Fragen und zwei Fotos im Gepäck, die mindestens ebenso unangenehm für ihn sein durften.
    »Sie möchten wissen, weshalb ich Sie beschatten ließ?«, fragte er ohne jede Vorwarnung. Er führte das Glas mühselig zum Mund und sah mich über den Rand hinweg mit einem klaren, wachen Blick an, der mir unheimlich war, weil er jede Gebrechlichkeit Lügen strafte.

    »Ja, sicher«, sagte ich überrumpelt.
    »Gut.« Er schwieg, und ich ließ ihm Zeit.
    Er brauchte zu lange.
    »Warum also?«
    »Zu Ihrer Sicherheit«, sagte er und stellte das Glas auf dem Beistelltisch ab. »Nur dazu.« Es dauerte einen Moment, bis seine zitternde Hand das Glas endlich losließ.
    Die Antwort überraschte mich nicht. Was sollte er sagen? Dass er längst wusste, wer ich war? Dass er darüber informiert sein wollte, was ich tat, mit wem ich sprach, was ich wusste?
    »Warum glauben Sie, dass ich Schutz brauche, und warum sollte ich den von Ihnen brauchen?«
    Er beugte sich vor, die Hände auf die Oberschenkel gestützt.
    »Sie erhielten Drohungen, Ihre Wohnung wurde auseinandergenommen, Ihre Tochter entführt …« Er klang so ruhig und sachlich, als würde er mir erzählen, dass die Ölpreise gerade ihr Allzeithoch erreicht hätten, auch wenn er im Verlauf des Gesprächs stärker zu nuscheln begonnen hatte. »Ich nenne das Schutzbedarf.«
    »Woher wissen Sie das?« Ich dachte kurz nach. »Das mit der Wohnung, meine ich. Und das mit den Drohbriefen.«
    »Von David …« Es klang wie eine Feststellung, doch es schwang die Ungewissheit einer Frage in der Stimme mit, was mich stutzig machte.
    »Ich will Sie nicht länger aufhalten als nötig«, sagte ich und zog die zwei Fotos, die ich von Martin erhalten hatte, aus dem Seitenfach meiner Handtasche. Ich legte sie ihm auf den Schoß. Er schob die Brille von der Stirn zurück auf die Nase. Seine Hände, so schien mir jedenfalls,

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