Im Zeichen der Angst Roman
Archivquellen, die unser Russlandkorrespondent ausfindig gemacht hat. Plotzers gesamte Familie wurde 1944 in Hannover ausgebombt und kam dabei ums Leben. Sie mussten also kaum befürchten, von einem Familienmitglied enttarnt zu werden. Nur das alles steht nicht in dem Dossier.«
Ich beobachtete ihn, während ich sprach. Ich wartete auf Anzeichen von Verwunderung, Überraschung, Angst. Doch da war nichts.
»Wer ist wir?« Peter Plotzer sah mich emotionslos an.
Ich zuckte lediglich mit den Schultern. Gib niemals mehr preis als du musst - das war Reporterroutine.
»Ihr Chefredakteur.« Noch leiser als vorher antwortete er sich selbst. Sein Kopf zitterte etwas stärker, diesmal vielleicht aus Fassungslosigkeit. »Was Sie hier vortragen, ist lächerlich und anmaßend«, fuhr er fort, als ich immer noch keine Anstalten machte, etwas zu erwidern. »Wenn das jemals an die Öffentlichkeit dringen sollte, dann kriege ich Sie wegen Verleumdung dran. Bei allem Respekt für Ihre Situation. Ich werde dann nicht lange fackeln.«
Seine Stimme klang brüchig, doch ich wusste, er meinte es ernst. Es beeindruckte mich nicht. Ich hatte nicht vor, mit meinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen.
»Das müssen Sie für sich selbst entscheiden.«
»Was hat das alles überhaupt mit dem Tod Ihrer Mutter zu tun?«, fragte er.
»Genau darum geht es«, sagte ich. »Was hat die Vergangenheit mit ihrem Tod zu tun? Und da kommen Sie ins Spiel, ob Sie es nun wollen oder nicht.« Meine Stimme hatte ebenfalls eine gewisse Schärfe angenommen. »Wissen Sie, Herr Plotzer, das Verrückte dabei ist: Im Grunde genommen interessiert mich überhaupt nicht, wer Sie sind. Es ist mir im Moment völlig gleichgültig, ob Sie meine Mutter damals vergewaltigt haben oder irgendein anderer Versager. Es ist mir sogar gleichgültig, ob daraus eine Tochter wurde. Die ja nun meine Schwester ist. Mich interessiert hier nur eines: Was hat das alles mit dem Mord an meiner Mutter zu tun? Und viel wichtiger: Was hat es mit der Entführung meiner Tochter zu tun? Nur das will ich herausbekommen. Sie werden mir dabei behilflich sein, ob es Ihnen nun passt oder nicht.«
»Kindchen, wie soll denn jemand wie ich Ihnen behilflich sein? Ich kann Ihnen nur einen Personenschutz anbieten.« Er schüttelte den Kopf.
»Nennen Sie mich nicht Kindchen«, sagte ich scharf.
»Clara«, sagte er.
»Für Sie Frau Steinfeld«, sagte ich. »Sie mögen krank sein, aber das erlaubt Ihnen nicht, mich Kindchen zu nennen. Also noch einmal von vorn: Weshalb ließen Sie mich verfolgen? Welchen Schutz musste ich Ihrer Meinung nach haben? Seit wann ließen Sie mich beschatten?«
»Seit dem Tod Ihrer Mutter.«
In dem Moment legte sich eine Hand auf meinen Arm, und ich schrie leise auf. Ich hatte die Tür nicht gehört und auch keine Schritte. Vermutlich hatten sie die schweren Teppiche gedämpft.
Ich fuhr herum. Hinter mir stand David.
»Tut mir leid«, sagte er und sah im Widerschein des Feuers Jahre jünger aus.
»Schon gut«, sagte ich nach einer Schrecksekunde, in der mein Gehirn verarbeitete, wen ich vor mir hatte und dass dieser Jemand extrem attraktiv war.
»Ich hab Groß nach Hause gefahren«, sagte er. »Er wohnt in Wedel.«
»Oh«, sagte ich. »Was für ein Umweg.«
»Ich wäre sonst früher hier gewesen«, sagte David.
»Ich bespreche gerade mit deinem Vater, wer er ist«, sagte ich ohne jede Freundlichkeit in der Stimme. Es hatte nichts mit ihm zu tun. Es hatte nur etwas mit mir und meiner Angst zu tun, diesen Mann nicht nur attraktiv zu finden, sondern ihn mehr zu mögen und ihn tiefer in mein Herz zu lassen, als mir vielleicht guttat.
»Wer soll er sein?«, fragte David.
»Hat dich das nie interessiert?«
David musterte mich, die Augen so dunkel wie die seines Vaters und in dem Moment ebenso ausdruckslos. Das konnten sie alle beide hervorragend.
»Wer sagt dir, dass ich es nicht weiß?«
»Er heißt nicht Peter Plotzer«, sagte ich.
»Ich heiße also nicht Plotzer«, sagte David und grinste. »Das macht auch nichts. Mir hat der Name sowieso nie gefallen.« Er beugte sich zu mir herunter, die Hände auf die Lehnen des Sessels gestützt. »Nur wie heiße ich dann?«
»Laufer«, sagte ich.
»Ah, Laufer also.« Seine Augen schauten freundlich, während seine Stimme amüsiert klang.
»Das ist nicht komisch«, sagte ich.
»Clara«, sagte David besänftigend.
»Hast du dich nie gefragt, weshalb es keine Fotos von deinem Vater aus seiner Kindheit gibt?«
»Weil
Weitere Kostenlose Bücher