Im Zeichen der Angst Roman
seine Familie ausgebombt wurde?«
»Oder Zeugnisse?«
»Dito.«
»Wieso hat dein Vater keine Familienangehörigen?«
»Weil sie im Krieg umgekommen sind.«
Ich sah zu Peter Plotzer. Er betrachtete seinen Sohn. Sein Kopf zitterte wieder stärker, doch sonst sah man ihm keinerlei Gemütsbewegung an.
»Und Russisch spricht er, weil er in Kriegsgefangenschaft war, nicht wahr?«
»Du sagst es«, sagte David.
Ich nahm die beiden Fotos, die noch immer auf Plotzers Schoß lagen, und gab sie seinem Sohn.
»Natürlich ist er das nicht. Natürlich siehst du auch keinerlei Ähnlichkeit mit deinem Vater.«
»Clara«, sagte David. »Wie alt sollen die Fotos sein? 60 Jahre?« Er sah mich fragend an. »Älter?«
Ich nickte. »62 Jahre. Dein Vater war Anfang zwanzig.«
»Und zu der Zeit in einem sibirischen Kohlebergwerk unter Tage. Mit so minimalen Tagesrationen aus einer Scheibe Brot und Wassersuppe mit ein wenig Kohl, dass sie allesamt fast krepiert sind.«
»Das hat er dir erzählt?«
»Verzeihen Sie mal«, mischte sich Peter Plotzer wieder ein. »Natürlich hab ich es ihm erzählt.«
»Gut«, sagte ich. »Gehen wir es anders an. Woher ist der Cranach in Ihrem Büro?«
Vater und Sohn wechselten einen raschen Blick.
»Es ist eine Kopie«, sagte Peter Plotzer. »Eine sehr gute.«
»Das ist es nicht«, sagte ich. »Das Bild gehörte einem Karl Friedrich Brummer aus Solthaven. Ein Fabrikant, der sich 1951 in den Westen absetzte. Ihm folgte ein gewisser Meinhard Laufer mit zwei Lucas-Cranach-d.-J.-Bildern nur zwei Tage später. Auf dem einen ist ein Mann in weinrotem Jackett, auf dem anderen eine Frau in blauem Kleid abgebildet. Es hing jahrelang in Ihrem Büro. Laufer leitete übrigens jene Abteilung, die das Privatvermögen der in den Westen geflüchteten Bürger ebenso
beschlagnahmte wie das Vermögen auf den Bankkonten. Brummers Konto war längst leer, als der DDR-Staat endlich zuschlug.«
»Es ist keine Kopie, du hast recht«, sagte David, und ich schaute ihn überrascht an. »Aber was beweist das schon, außer dass wir ein Gemälde besitzen, das in den Nachkriegswirren in unseren Familienbesitz gelangte.«
»Das Interessante daran ist nur, dass Ihr Intimus Christian Schiller das Pendant in seinem Büro hängen hat. Es ist mir nur nie aufgefallen, dass es dort einen Zusammenhang gibt«, sagte ich zu Peter Plotzer.
»Es gibt keinen«, sagte Plotzer.
»Deshalb hat Christian Schiller Ihnen ja auch das Dossier ausgehändigt. Ich habe mich immer gefragt, was Sie so zusammenschweißt, dass er Ihnen etwas gibt, das kein journalistischer Profi jemals weggibt: ein Dossier. Eine Zeitlang dachte ich, Sie hätten etwas gegen ihn in der Hand. Haben Sie ja auch: Auch er hat eine falsche Identität angenommen, denn er ist der Sohn von Alexander Friedrich Brummer. Aber nur Sie sind in kriminelle Machenschaften verwickelt. Er schuldet Ihnen etwas, weil Sie für seinen Vater Bilder und Geld aus der damaligen DDR herausholten.«
»Welche Fantasie«, sagte Plotzer. »Unglaublich. Sie sollten Bücher schreiben.«
»Ich schreibe welche«, erwiderte ich.
»Sag es ihr«, sagte David überraschend und sah seinen Vater an.
Peter Plotzer schüttelte den Kopf.
»Sag es ihr, sonst tue ich es.«
»Ich werde dich enterben«, erwiderte Plotzer ohne jede Aufregung in der Stimme. »Du hast mir versprochen …«
»Ja, was hab ich versprochen?«, fragte David. Seine Stimme hatte denselben herausfordernden Klang wie die seiner Tochter, wenn sie sich aufregte. Er schaute zu mir. »Madeleine
Lehmholz ist die Tochter meines Vaters«, sagte er. »Und mein Vater hat sie anerkannt.«
Peter Plotzer schüttelte den Kopf. »Junge, wie kannst du das tun? Diese Sache geht niemanden etwas an. Niemanden. Das ist eine reine Familiengeschichte. Sie aber ist Journalistin. Ihr ist schon mal von Berufs wegen nichts heilig.«
»Ach«, sagte ich. »Das trifft sich gut. Weil nämlich Madeleine auch zu meiner Familie gehört und meine Halbschwester ist.«
»Meine auch«, sagte David.
»Seit wann weißt du das?«, fragte ich mit einer Stimme, in der die Empörung kochte. »Weshalb hast du es mir nicht gesagt? Wieso hast du auf dem Friedhof so getan, als wüsstest du nicht, wer sie ist?«
»Ich kannte sie nicht. Ich habe weder sie noch ihre Tochter jemals gesehen.«
»Seit wann weißt du das?«, wiederholte ich, und all mein Zorn und meine Enttäuschung lagen in meiner Stimme. »Du hast gesagt, wir sind ein Team und wir würden zusammenarbeiten.«
»Das
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