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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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    Nachdenklich legte David die Finger an die Stirn.
    »Du kannst mich nicht aus der Verantwortung entlassen«, erwiderte er. »Das geht nicht. Man schaltet mich nicht ein, wenn man mich braucht, und wieder ab, wenn einem der Sinn danach steht.«
    »Bitte«, sagte ich, »keine Grundsatzdiskussionen.«
    »Wie du willst«, sagte er. Ich ging zum Fenster und schaute auf den Park hinaus in die Stille des Tages, während sich die Erinnerungen durch meine Seele stahlen.
    Wenn Johanna fror, wurden ihre kleinen Fingerkuppen ganz weiß, und als sie noch klein war, hat sie sie dann in den Mund gesteckt, eine Kuppe nach der anderen. Sie hatte daran gesaugt und damit die Kälte vertrieben. In den vielen schlaflosen Nächten, die ich nach ihrem Tod durchwacht hatte, habe ich sie Hunderte Male vor mir gesehen, wie sie sich unter der vor Schmutz starrenden Decke vergrub, die Beine angezogen, die Hände erst zwischen die Oberschenkel gesteckt in der Hoffnung, es würde sie wärmen, um dann die Finger in den Mund zu stecken … Dann war der Asthmaanfall gekommen. Josey hatte kein Asthma, doch auch sie steckte ihre zierlichen Finger in den Mund, wenn ihr kalt war …
     
    Ich schauderte innerlich und wünschte mir Davids warmen Körper an meinem.
    Als ich mich umdrehte, war das Zimmer leer.

37
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, als ich mich entschied, mich in diesem Nest einzunisten. Ich hatte das Haus meiner Mutter nur nachts gesehen und nicht bedacht, wie trostlos, abgelegen und grau die Gegend an einem Wintertag tatsächlich wirkte.

    David und Hazel hatten darauf bestanden, mich zumindest bis zum Haus zu begleiten, doch ich hatte abgelehnt.
    Auch Stefan Lichtenberg bot mir seine Begleitung an, doch ich gab ihm den Brief und die Kopien, die Madeleine betrafen, und machte ihm überzeugend klar, dass sein Chef es nicht sonderlich schätzte, wenn er sie nicht schnellstens ablieferte.
    Ich brauchte keinen Schutz. Ich war der Überzeugung, dass sich die Entführer an diesem Tag nicht mehr melden würden. Horststätt und Umgebung wimmelte von Polizei, und solange dieses Aufgebot in der Nähe war, würde es meiner Meinung nach keine Übergabe geben. Natürlich konnte sie an jedem Ort der Welt geschehen, doch sooft ich auch darüber nachdachte, ich kam immer wieder zu derselben Schlussfolgerung: Die Entführer saßen hier in dieser Gegend und würden sich unter diesen Bedingungen nicht rühren.
    Ich hatte recht. Mehr als das. Ich hörte nur noch einmal von ihnen und dann - nichts mehr.
    Seitdem sie Josey entführt hatten, versuchte ich mit meiner Angst zurechtzukommen und Strategien zu entwickeln, die sie im Zaum hielten, indem ich mir eines vor Augen hielt: Solange es in den Augen der Entführer eine wenn auch noch so winzige Chance gab, das Geld von mir zu erhalten, würde meine Tochter am Leben bleiben. Doch die Angst folgte ihren eigenen Regeln, und dazu gehörte, dass man ihr mit Logik und Vernunft dauerhaft nicht beikommen konnte und sie mich stets erneut mit der vernichtenden Macht einer Naturkatastrophe überrollte, mit der sie nicht nur die Gewalt, sondern auch die Unberechenbarkeit gemein hatte. Doch statt zu resignieren und mich in meinem Schmerz zu vergraben, wie ich es bei Johannas Entführung getan hatte, nahm ich den Kampf gegen meine Dämonen stets aufs Neue auf.
    Vor der Grundstückseinfahrt war ich noch einen Augenblick in meinem Rover sitzen geblieben und hatte beklommen auf das Haus meiner Mutter geschaut. Es stand halb verborgen hinter
der noch immer dichten, braun belaubten Buchenhecke, etwa einen halben Kilometer von dem nächsten Haus entfernt an einem Waldrand, gegenüber einer Weide. Das Haus verhieß Abgeschiedenheit, Einsamkeit und - ja - Menschenleere. Hamburgs quirlige Menschenmassen lagen 60 Kilometer entfernt, meine Arbeitsstelle ebenso. Ausgerechnet ich, die ich Menschen und meinen Beruf wie andere die Luft zum Atmen brauchte, war nun freiwillig in dieses Dorf gekommen.
    Ich fuhr schließlich in die Einfahrt hinein, weil ich irgendetwas tun musste. Der Vorgarten sah noch trostloser aus als in jener sternenlosen Nacht, in der ich ihn das erste Mal betreten hatte. Die tiefbraunen Überreste von Stockrosen, Margeriten und anderen Stauden lagen entweder feuchtschwer umgeknickt am Boden oder standen verdorrt und traurig neben ebenso trostlos aussehenden Rosenbüschen, an denen vereinzelt verregnete braune Blüten klebten wie eine triste Erinnerung an warme, glückliche Sommertage.
    Ich

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