Im Zeichen der Angst Roman
schnell dahinter, dass meine Halbschwester in dem Dorf jene Frau war, die man nur selten
sah, über die aber viel geredet wurde. Als Erstes erfuhr ich von Pfarrer Franz Mitter, dass ihre Eltern sie adoptiert hatten, weil der Vater keine Kinder zeugen konnte, dass sie sie sehr geliebt hatten, auch wenn sie ihr durch die Gaststätte nicht jene Aufmerksamkeit und Zuwendung zuteilwerden lassen konnten, die Kinder nun einmal brauchen. Sie war meist sich selbst überlassen, was zur Folge hatte, dass sie in der Schule nur schwer mitgekommen war, obgleich, wie der Pfarrer betonte, sie von hoher Intelligenz und schneller Auffassungsgabe war. In der Folge machte sie nie eine Ausbildung, sondern verließ mit sechzehn die Schule, um in der elterlichen Gastwirtschaft auszuhelfen. Vier Jahre später, 1967, hätte sie dann Rebecca bekommen, und bis heute schwieg sie sich über den Kindsvater aus. Niemand wüsste zu sagen, wer der Vater war, wenngleich es Gerüchte gebe, doch auf die ging der alte Herr nicht näher ein.
Erst als Rebecca sieben Jahre alt war, hätte Madeleine geheiratet. Einen Tankstellenpächter, der sie jedoch sitzen ließ, als sich herausstellte, dass die Tochter Multiple Sklerose hatte und lebenslang ein Pflegefall sein würde.
Als Nächstes erfuhr ich, dass die Gaststätte ihrer Eltern Ende der achtziger Jahre in Konkurs gegangen war, woraufhin der Vater vor Kummer zu trinken begonnen hatte und schließlich Ende der neunziger Jahre an einem Gehirnschlag gestorben war. Die Mutter starb bald danach an einem Herzanfall.
Seit dem Konkurs der Gaststätte hielt sich Madeleine mit Putzstellen über Wasser, wobei es sich als großes Glück für sie erwies, dass Claire Silberstein 1996 in das Dorf gezogen war. Meine Mutter hatte sie als Haushaltshilfe angestellt. Fünf Tage die Woche war Madeleine morgens zu ihr gegangen und hatte für sie geputzt, Besorgungen getätigt und alles erledigt, was an einem Haus an Reparaturarbeiten anfiel. Es war deshalb ein so großes Glück für Madeleine, erzählte mir der Pfarrer, weil sie ihre Tochter mitnehmen konnte und sich Claire mit der Kranken beschäftigte, während sich Madeleine um das Haus kümmerte.
Damit sie nachmittags putzen gehen konnte, hatte sie einen privaten Pflegedienst engagiert, der stundenweise zur Betreuung kam. Ich hörte später, dass der Dienst weit mehr Geld kostete, als Madeleine verdiente, und dass es Gerüchte gab, der Vater des Kindes würde ihr selbst noch nach Rebeccas Volljährigkeit eine Art Schweigegeld zahlen.
Ich behielt mein Wissen für mich. Es ging niemanden etwas an, dass meine Mutter Madeleine jeden Monat 1500 Euro gegeben hatte.
Madeleine glaubte, so vermutete ich, sich durch das zurückgezogene Leben vor dem Gerede der Leute zu schützen. Doch sie hatte nicht bedacht, dass gerade jene Geheimniskrämerei die Leute neugierig und misstrauisch machte.
Als ich das Haus diesmal betrat, zitterten mir durch die Begegnung mit Erwin die Knie, und mir schlug eine unangenehme Kälte entgegen, die ich in der Aufregung des ersten Besuches kaum gespürt hatte. Ich stellte meinen Trolley am Eingang ab, vergewisserte mich, dass das Handy in meiner Jackentasche steckte, und ging zu der Treppe, die sowohl hinauf in die erste Etage als auch nach unten in den Keller führte. Draußen im Garten stand ein Öltank, und ich suchte nach dem Heizungskeller, um die Anlage einzuschalten.
Ich hatte keine Ahnung, wie eine solche Heizungsanlage funktionierte, doch ich war mir sicher, dass es einen banalen Kippschalter zum Ein - und Ausschalten gab.
Nachdem ich im Keller das Licht eingeschaltet hatte und schließlich durch zwei Räume - einen Waschraum und einen Vorratsraum mit leeren Regalen - gelangt war, öffnete ich die dritte Tür und stand endlich im Heizungskeller. Ich fand sogar den Knopf und schaltete die Anlage ein. Der Heizofen gab ein lautes, anhaltendes Röhren von sich, was in meinen Ohren so klang, als würde er nun seine Arbeit aufnehmen.
Ich ging hinauf in die Küche und atmete erleichtert auf,
als ich feststellte, dass das Wasser lief und der Wasserkocher funktionierte. Ich setzte mich in meinem Daunenparka an den Küchentisch und trank einen muffig schmeckenden Kaffee, der noch aus der Zeit stammen musste, als meine Mutter hier wohnte. Aber er dampfte in der Tasse, lief heiß in meinen Magen und wärmte mich von innen, während ich darüber nachsann, wie Madeleine es fertigbrachte, mich hier nach dem Schrecken alleinzulassen, was für ein
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