Im Zeichen der Angst Roman
arbeiten. Damals hoffte die Familie noch, sie würde sich fangen und ihr Abitur nachmachen, doch sie weigerte sich. Sie verbrachte ein paar Jahre in Hamburg, um ihrem Halbbruder John nahe zu sein, wie der andere Bruder Thomas erzählte. John war der Einzige, auf den sie hörte. Doch auch er konnte sie nicht überzeugen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, und als er heiratete, kehrte sie enttäuscht wieder nach Horststätt zurück. Sie war noch immer attraktiv, wenn auch längst von Psychopharmaka abhängig. Sie machte einen neuerlichen Anlauf in Hamburg, als sich Johns Frau sieben Jahre später scheiden ließ.
Christines Mutter, so erzählte Mankiewisc, hätte zu ihren Lebzeiten behauptet, ihr eigener Sohn hätte Christine tablettenabhängig gemacht, um seine Ruhe zu haben.
»John Hart hielt nichts von Psychopharmaka«, warf ich dazwischen. »Das kann nicht stimmen.«
Mankiewisc nickte. »Das sagte Thomas auch. Er sagte aber auch, dass Christine irgendwann begann, andere Ärzte aufzusuchen, dass sie sie häufig wechselte und dass die Mutter bis zu ihrem Tod 2006 verbittert war, seitdem sich ihr Stiefsohn John umgebracht und ihre Tochter allein gelassen hat.«
»Er lag im Sterben«, sagte ich. »Er wusste, was ihm bevorstand und dass es keine Rettung gab.«
Mankiewisc sah mich an. »Woher wissen Sie das?« Noch einen Augenblick zuvor hatte seine Stimme neutral geklungen. Jetzt besaß sie wieder die barsche Schärfe, die ich inzwischen gut kannte. Ich suchte auf der Stirn nach dem verräterischen Pochen der Ader, während ich antwortete: »Er betreute mich nicht nur während der Haft. Wir freundeten uns an, als Kai mich und Josey verlassen hatte. Ich hätte es ohne ihn nicht geschafft.«
Mankiewisc nickte und hakte nicht nach, wofür ich ihm dankbar war, denn ich wollte nicht über Josey reden.
»Wir haben in dem Haus etwas sehr Beunruhigendes gefunden«, schaltete sich Groß ein.
»Im Keller?«, fragte ich fast automatisch, denn schlagartig erinnerte ich mich an das anonyme Schreiben, das Renner nach Kais Tod erhalten und in dem gestanden hatte, man sollte nach einer Inschrift suchen.
Mankiewisc und Groß nickten überrascht.
»Was ist es?«, fragte ich und wusste zugleich, dass es schlimm werden würde.
»Einen Namen, der in den Putz eingeritzt war«, sagte Mankiewisc vorsichtig.
Groß nickte. »Unsere Leute sagen, es ist alt.« Er sprach weiter,
als hätten sie eine Arbeitsteilung vereinbart und als wäre er für jene Momente zuständig, in denen mich meine Emotionen zu überrennen drohten. »Der Name Ihrer Tochter ist dort eingeritzt, offensichtlich …«
Aufgewühlt unterbrach ich ihn. »Johanna?« Meine Stimme brach ab.
Groß nickte. »Ja …«
»Was … was bedeutet das?«
Groß fuhr sich mit der Hand durch das kurze Haar. »Hören Sie einfach nur zu, okay?«
Er wartete auf eine Antwort, und ich nickte.
»Wir gehen davon aus, dass Ihre Tochter Johanna die ersten Tage dort unten in dem Haus war. Wie Sie sich vielleicht erinnern, waren Christine Metternich und Ihre Halbschwester Madeleine zum Zeitpunkt der Entführung in Österreich im Skiurlaub, bis sich Christine das Bein brach, weshalb sie vorzeitig zurückkehrten.«
Ich nickte erneut.
»Da wir den Altar, die Matratze und die verschiedenen Sachen Ihrer Tochter in dem Turm gefunden haben«, fuhr Groß fort, »gehen wir davon aus, dass sie nach Christines überraschender Heimkehr dort hingeschafft wurde.«
»Und das heißt?«, fragte ich.
Mankiewisc und Groß wechselten einen dieser Blicke, die mir langsam auf die Nerven gingen.
»Das heißt«, sagte Groß langsam, »dass wir vermuten, dass Christine Johanna im Keller gefunden hat. Das bedeutet, dass Thomas Hart in die Entführung involviert war, wenn er sie nicht sogar allein bewerkstelligt hat.« Groß musterte mich aufmerksam, als wappnete er sich für einen Angriff. »Er hatte nämlich einen Schlüssel für das Haus.«
»Aber wie?«, fragte ich fassungslos, denn zu einer anderen Reaktion war ich nicht fähig.
»Johanna kannte Thomas Hart doch von gelegentlichen Besuchen
bei ihrer Freundin Katharina, oder?«, meinte Mankiewisc trocken. »Also wird es kein Problem für ihn gewesen sein, sie in seinen Wagen zu locken, auch wenn er längst wusste, dass es nicht Katharina war.«
»Wollen Sie sagen, er wollte seinen eigenen Arbeitgeber erpressen? Wie hatte er die Zeit?« Ich kaute manisch an meiner Unterlippe, denn mir schoss zu viel durch den Kopf und ich bekam keinen roten Faden in
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