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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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Tochter zu mir zurückkam.
    Ich hielt das Handy an mein Ohr und wartete, dass jemand etwas sagte, doch da war nur ein Rauschen, und Panik stieg in mir auf.
    »Hallo?«, rief ich in die Leitung. »Hallo? Hallo! Sagen Sie doch etwas!« Ich merkte nicht einmal, dass ich brüllte. »Bitte«, flehte ich und dachte, ich würde ersticken.
    Der Mann am anderen Ende der Leitung drückte das Gespräch weg. Ich starrte einen Moment benommen auf das Handy. Ich wusste genau, dass dieser Mann sich am anderen Ende der Leitung ein Vergnügen daraus machte, mich in Panik zu versetzen. Doch das Wissen half mir an diesem Abend nicht, die Panik einzudämmen. Zum ersten Mal hoffte ich inständig, dass Mankiewisc und Groß die Entführer finden würden, bevor ich unter dem Druck endgültig auseinanderbrach.
    Seit zwei Tagen war Josey eine Gefangene, die allein und einsam ihren Ängsten ausgeliefert war. Ich hatte keine Ahnung,
was sie empfand oder was sie dachte. Sie war viel zu klein, um ihre Ängste zu benennen oder sie rational zu betrachten und ihnen so zumindest eine Zeitlang zu entkommen. Sie war auch zu klein, um Strategien zu entwickeln, wie John Hart sie mich gelehrt hatte. Josey würde keine Samtkisten ausschlagen, um dort ihre Ängste hineinzustecken. Sie konnte auch keine Universen bauen. Sie würde sich in einem einzigen Universum bewegen, sich drehen und wenden und immer nur von demselben Gefühl umgeben sein: von ihrer Angst. Selbst wenn ich sie zurückbekäme, würde es vielleicht Jahre dauern, bis sie ihr Urvertrauen ins Leben zurückgewinnen würde. Vielleicht würde sie niemals wieder lernen, dass das Leben es gut mit ihr meinte.
    An jenem Punkt meiner Überlegungen brach ich zusammen. Ich lag auf der chintzbezogenen, weißen Couch im großen Wohnzimmer gegenüber dem Kamin, das Gesicht in ein blaues, weiches Seidenkissen gedrückt, und weinte.
    »Dem Weinen wohnt ein Zauber inne.« Auch das hatte John Hart mir vor Urzeiten mit auf den Weg gegeben.
    »Weinen Sie«, hatte John Hart mir geraten. »Liefern Sie sich aus, geben Sie sich hin. Es gibt nichts, das befreiender wäre.«
    Sicher, ich hatte in den letzten Tagen häufig geweint. Doch ich hatte mich diesem Weinen nur einmal ergeben. Ansonsten hatte ich es abgewürgt und unterdrückt in dem Bemühen, stark und handlungsfähig zu bleiben.
    Doch hier, in der Stille dieses Hauses, musste ich niemandem mehr beweisen, dass ich willensstark und handlungsfähig war, und so überließ ich mich dem Schmerz, bis mich ein mitleidiger Schlaf umfing und aus dem Schmerz hinaustrug.
     
    Zwei Stunden später, um kurz nach elf, erwachte ich, weil weißes Mondlicht durch die Fenster fiel und mir ins Gesicht schien.
    Der Nebel hatte sich am späten Nachmittag gelichtet, die Wolkendecke war aufgerissen, und die Temperaturen waren in kurzer Zeit unter null Grad gefallen. Als ich nach meinem Besuch
bei Lydia von Weiden in das Haus zurückgekehrt war, hatte es mich mit einer heimeligen Wärme empfangen, und ich war froh, dass sich Madeleine um die Heizung gekümmert hatte.
    Ich fühlte mich auf eine seltsame Art erfrischt und befreit, und vielleicht hätte ich aufatmen müssen, doch das tat ich nicht.
    Das Haus war zu still, die Möbel warfen Schatten, und meine Hand umklammerte das Handy der Entführer, was mich augenblicklich in die Trostlosigkeit zurückwarf und daran erinnerte, dass meine Tochter nicht bei mir und von Tag zu Tag mehr in Gefahr war. Außerdem lagen zwei Millionen Dollar in der Nylontasche in meinem Range Rover, und ich war in diesem Haus nicht nur einsam, ich war allein auf mich gestellt.
    Irgendwoher klang ein kurzer, schriller Pfiff, und ich erschrak bis ins Mark. Ich kroch von der Couch und schlich im Licht des Mondes zur Terrassentür, die in den hinteren Garten hinausführte. Verborgen von den Vorhängen lugte ich hinaus. Der Garten lag totenstill. Büsche und Bäume glänzten dunkel vor dem hellen Licht und warfen lange Schatten, in denen sich ein heimlicher Beobachter nur zu gut verstecken konnte.
    Ich nahm all meinen Mut zusammen, öffnete die Terrassentür und trat hinaus. Frostklare Luft schlug mir entgegen. Ein zweiter Pfiff ertönte, diesmal näher. Ich hielt den Atem an und lauschte angestrengt.
    »Erwin«, zischte eine Stimme. Irgendwo neben der Terrasse raschelte Laub, und dann spürte ich auch schon die kühle Schnauze des Hundes an meiner Hand und seine feuchte warme Zunge, die über meinen Handrücken leckte. Schreckensstarr ließ ich es geschehen,

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