Im Zeichen der Angst Roman
widersprechen. Als ich nichts erwiderte, begann sie ebenfalls zu lächeln und nahm ihre Rede wieder auf.
»Wenn Sie den Turm ansehen wollen, müssen Sie sich gedulden. Die Polizei hat ihn gesperrt. Seitdem nämlich Ihre Mutter ermordet wurde und Christine sich umgebracht hat, steht hier das ganze Dorf Kopf. Sie sollen in dem Turm noch Sachen von der Kleinen gefunden haben, sagt man. Mir ist das unheimlich. Ich will davon gar nichts wissen.«
»Aber er gehört doch Ihnen.«
»Nun ja, auf dem Papier. Aber Tasso und ich haben ihn schon vor Jahren mit einem Schloss absperren lassen und warten eigentlich nur darauf, dass er zusammenfällt. Man kann ihn ja nicht einfach abreißen, weil auch er unter Denkmalschutz steht. Doch wenn er verfällt, wen kümmert es dann? Und verkaufen? Der Turm ist unverkäuflich, seitdem das Kind dort starb. Niemand will ihn haben. Dabei wären wir ihn zu gern los.«
Ich glaubte ihr das sofort und fragte, ob es noch mehr solcher abgelegenen Gebäude gab.
Sie verneinte und erzählte mir, dass es jedoch noch einen alten Luftschutzbunker im Wald gebe und dass die Polizei ihn untersucht habe, als ob der irgendetwas mit dem Tod meiner Mutter zu tun haben könnte, da sie doch in Hamburg erschossen worden sei.
»Nein«, widersprach ich. »Da hat man sie nur gefunden.«
»Oh. Aber es gibt doch niemanden im ganzen Dorf, der ein Motiv haben könnte. Die Meisten haben sie nicht einmal gut gekannt, so zurückgezogen, wie sie lebte.« Ohne Pause wechselte
sie das Thema. »Haben Sie vor, länger in dem Haus zu bleiben?«
Ich setzte zu einer Antwort an, doch ohne darauf zu achten, fragte sie weiter, ob ich dort bereits Madeleine begegnet wäre.
Beinahe hätte ich es geleugnet, doch dann fiel mir noch rechtzeitig ein, dass ich in einem Dorf war und unmöglich wissen konnte, ob nicht jemand gesehen hatte, dass Madeleine am Tag zuvor bei mir gewesen war.
»Sie hat mir bei der Heizung geholfen, als ich gerade angekommen war. Das war sehr liebenswürdig.«
»Sie müssen vorsichtig mit ihr sein«, sagte sie. »Sie war schon immer sehr seltsam, doch je älter sie wird, desto eigenartiger wird sie. Sie lebt sehr zurückgezogen, doch wenn sie einmal jemanden an sich heranlässt, dann kann das für denjenigen sehr anstrengend werden. Sehen Sie, Ihre Mutter hat sie geradezu belagert. Ich bin überzeugt, dass dieses zwanghafte Klammern daher rührt, dass sie adoptiert wurde und sich die Eltern nicht genug um sie kümmerten. Das trägt so ein Mensch ja ein Leben lang mit sich herum. Und dann noch diese kranke Rebecca. Jeden Tag hat sie sie mit zu Ihrer Mutter geschleppt, als könnte Rebecca nicht einmal allein sein. Das hatte schon pathologische Züge, wenn Sie mich fragen, denn trotz der Behinderung ist sie sehr selbständig. Noch seltsamer wird Madeleine, wenn man sie abweist. Das kann dann geradezu beängstigend werden. Ihre Mutter hat einmal versucht, sie zu bitten, nur noch drei Tage in der Woche für sie zu putzen. Jeden Tag Gesellschaft zu haben, das sei ihr doch zu viel. Ich meine, sehen Sie, Claire war nur wenig jünger als ich, da kann man nicht ständig jemand Fremdes um sich herum ertragen. Sie hätten Madeleine erleben sollen. Claire erzählte mir, dass sie richtiggehend Angst bekommen hätte, so sehr hätte sich Madeleine darüber aufgeregt und getobt.«
Ich musterte sie mit einer gewissen kühlen Distanz. Sie hatte meinen Blick aufgefangen und begann umgehend, sich zu entschuldigen.
»Sie müssen mich für eine ganz furchtbare alte Person halten, aber ich möchte nicht, dass Sie denselben Fehler machen wie Ihre Mutter und in vier Wochen feststellen, dass ich Recht hatte. Wenn Sie in dem Haus in Ruhe ein Buch schreiben wollen, dann müssen Sie sie auf Distanz halten. Außerdem können Sie jeden hier im Dorf nach Madeleine fragen. Alle werden Ihnen dasselbe erzählen.«
»Wen sollte ich denn fragen?« Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf das Teegebäck und nahm mir ein Plätzchen.
»Es geht mich ja nichts an«, sagte sie. »Bestimmt nicht. Aber wenn Sie ein Problem mit dem Haus haben, dann wenden Sie sich besser an meinen Sohn. Er ist nur gerade nicht da, sonst könnte ich Sie vorstellen. Wenn Sie etwas wissen wollen, dann wenden Sie sich an den Pfarrer. Er kennt hier jeden, auch Madeleine. Er weiß genau, dass Ihre Mutter ihr ja nur noch aus dem Weg gehen konnte, indem sie nach Hamburg geflüchtet ist.«
Ich erzählte ihr nicht, dass ich bereits am frühen Morgen mit dem Pfarrer gesprochen
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