Im Zeichen der Angst Roman
einer wahren Geldgrube geworden, als ich im Gefängnis saß. Kai hatte sich nicht retten können vor Aufträgen. Mein Prozess war wie eine kostenlose Werbung für ihn gewesen. Kaum hatte man in der Zeitung veröffentlicht, dass ich mit einem Scheidungsanwalt verheiratet war, liefen ihm die Klienten die Tür ein. Besonders Frauen. Und obwohl mein Name immer nur mit einem Kürzel abgedruckt wurde, hatte es sich bald herumgesprochen, dass sich hinter der Kanzlei »Steinfeld & Co.« der Mann verbarg, dessen Frau den Entführer ihres Kindes erschossen haben sollte. Während meiner gesamten Haft hat Kai 60 Stunden die Woche gearbeitet. Meistens auch noch am Wochenende. Als Josey geboren wurde, hat er »Co.« eingestellt, eine 34-jährige Anwältin, die ihm einen Teil der Arbeit abnehmen sollte, damit er mehr Zeit für seine Tochter und mich hatte. Doch dann begannen die Streite. Etwa ein halbes Jahr später arbeitete er wieder bis spät in die Nacht, und wenn er zu Hause war, verkroch er sich in sein Arbeitszimmer. Es gab einen Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, allein mit meiner Tochter zu leben. Wäre da nicht seine schmutzige Wäsche gewesen, die ich am Wochenende wusch und bügelte, wäre mir der Unterschied nach seinem Auszug gar nicht aufgefallen. Als Kai uns verließ, hatte ich einfach nur weniger Arbeit.
Ich habe ihn manchmal angerufen und gefragt, ob er Josey
nicht übers Wochenende holen möchte, und alle paar Wochen nahm er sie tatsächlich mal für einen Nachmittag mit in »Hagenbecks Zoo« oder fuhr mit ihr zu »Planten un Blomen« auf einen Spielplatz. Ein halbes Jahr nachdem er uns verlassen hatte, stellte er jeden Besuch ein. Er sagte, er könne das alles nicht mehr. Ich bat, ich bettelte, ich drohte. Es nutzte nichts. Er blieb weg. Das habe ich ihm nie verziehen.
Ich glaube, für meine Tochter war er nie mehr als ein Mann, zu dem man »Papa« sagte, aber damit nichts weiter verband als einen Fremden, der zum Geburtstag oder zu Weihnachten ein Paket ablieferte. Aber ich erinnere mich noch genau, wie ich mit ihr in einem Supermarkt vor der Käsetheke stand und sie einen Kunden vor uns am Hosenbein zupfte. Als er sich zu ihr in den Buggy hinunterbeugte, fragte meine kaum zwei Jahre alte Tochter mit ihren unschuldigen grünen Augen und dem freundlichsten Lächeln der Welt: »Möchtest du mein Papa sein?«
Ich weiß nicht mehr, was der Mann sagte. Doch ich weiß, dass ich weinte und auch dann noch weinte, als ich endlich an der Reihe war und ein Stück milden Gouda kaufte, den Josey damals mehr liebte als Kinderschokolade.
Jedes Kind vermisst einen Vater auch dann, wenn es niemals wirklich einen hatte. Das jedenfalls lehrte mich Josey, und manchmal wünschte ich mir allein um ihretwillen, einen großartigen, wundervollen Mann zu treffen, dem meine Vergangenheit egal war und der nur eines wollte: mich und Josey glücklich machen.
An der Haustür nahm ich Josey den Ranzen ab. Wortlos ließ sie es geschehen. Wir stiegen die Treppe nach oben in den vierten Stock, in dem unsere Wohnung lag.
5
Ich stellte den Ranzen im Korridor neben der Eingangstür auf einer schmalen Kommode ab. Der Flur war so groß wie mein Wohnzimmer und ausgestattet mit weißen vollgestopften Bücherregalen, für die ich in meinem Arbeitszimmer keinen Platz mehr hatte.
Josey rannte in die Küche. Ich rief ihr zu, sie solle ihre Schuhe ausziehen, während ich selbst in ein Paar bequeme Pantoffeln schlüpfte.
Ich hörte, wie sie den Kühlschrank öffnete und wieder schloss. Ich vermutete, dass sie sich einen Müsliriegel genommen hatte. Eigentlich mochte sie die nicht besonders gern. Sie waren ihr zu süß und klebrig. Nur wenn sie böse auf mich war, kam ihr ein Müsliriegel gerade recht, und ich ließ sie gewähren. Als ich in ihrem Alter war, rannte ich bei Kummer in den Keller unseres Hauses und machte mich über die riesigen Fünfzig-Liter-Kannen mit dem frisch geschleuderten Honig her. Ich fuhrwerkte dort mit meinem kleinen Zeigefinger in dem flüssigen Honig herum, bevor ich ihn in den Mund steckte und genüsslich abschleckte. Es hatte etwas von einem Ritual, das mir stets einen Großteil meiner Wut nahm, und Josey ging es mit ihrem Müsliriegel ähnlich. Wenn sie ihn aufgegessen hatte, hatte sie ihre Wut gleich mitverdaut.
Es läutete an der Haustür. Über die Gegensprechanlage meldete sich Mankiewisc. Ich drückte den Türöffner und hörte hinter mir Josey, die in ihr Zimmer rannte und die Tür hinter sich schloss.
Als
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