Im Zeichen der Angst Roman
mich darum gebeten. Und sie hat mich bezahlt. Nur durfte ich niemandem etwas davon sagen.«
»Und das haben Sie natürlich auch nicht.« Ich dachte darüber nach, wie verrückt es war. Sie hatte mich und meinen Vater verlassen, als ich 25 Jahre alt war. Sie hatte alle meine Lebensstationen aus der Ferne begleitet, aber sie hatte mir nicht vertraut. Denn hätte sie das, dann hätte sie sich gemeldet. Doch diesem Grünschnabel hatte sie vertraut. Mehr als mir, ihrer Tochter. Vielleicht hat sie ja den Jungen immer mehr vertraut als den Erwachsenen. Vielleicht hing das mit ihrem Beruf zusammen. Vielleicht tut das ja jeder Lehrer.
»Ich mochte sie«, sagte er in meine Gedanken hinein, und so etwas wie Trotz lag in seiner Stimme. »Sie war schrullig. Sie hatte ein tolles Haus und zog hier in dieses Hotel. Aber sie hat mich immer sehr gut bezahlt. Und sie hat mich auch bezahlt, damit ich mit niemandem außer Ihnen darüber rede. Ich wollte ihr Geld nicht, aber sie sagte, das sei nur fair. Sie habe Geld, ich nicht. Deshalb würde sie alles, was ich für sie tue, bestens vergüten, und das hat sie dann auch getan.«
»Hat sie gesagt, weshalb sie nicht in dem Haus wohnt?«
»Sie wollte da ja wieder hin. Sie sagte, sie müsste nur hier in Hamburg etwas erledigen. Danach wollte sie wieder in ihr Haus ziehen.«
»Aber sie hat nie gesagt, was es war, oder?«
Der Junge sah mich an.
»Doch«, sagte er. »Sie wollte beweisen, dass Sie diesen Bruchsahl nicht erschossen haben.«
Einen Moment lang saß ich nur da. Ich starrte in den Spiegel hinter dem Tresen.
Der Junge schwieg.
»Sie heißen Bennie?«, fragte ich, um überhaupt etwas zu sagen.
»Ja«, sagte der Junge und wies auf das Schild, das an seinem Hemd steckte.
»Sorry«, sagte ich und trank den Rest Cognac aus.
»Ich kann Sie auch hinfahren«, sagte Bennie. »Ich hab morgen frei.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, wo Horststätt liegt.«
Als ich das Hotel verlassen wollte, stand eine Frau auf der anderen Straßenseite. Ich sah sie bereits durch die Glastür, bevor ich hinaustrat. Sie trug einen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut, den sie tief in die Stirn gezogen hatte. Einen dunklen Schal hatte sie sich so um den Hals gewickelt, dass er den Mund verdeckte. Sie blickte zum Hotel. Als ich aus der Tür trat, drehte sie sich um und ging weg. Ohne Eile und ohne Hast. Es war durchaus möglich, dass sie die Frau aus dem Auto war. Ich lief auf den Bürgersteig und sah ihr nach. Nach knapp 200 Metern bog sie um die Ecke und verschwand in einer Nebenstraße, die zur Rothenbaumchaussee führte.
Ich ging noch einmal zurück ins Foyer und fragte die Empfangsdame, ob in der letzten Stunde vielleicht eine Dame in einem schwarzen Mantel nach mir oder meiner Mutter gefragt hatte.
»Ich hätte es Ihnen selbstverständlich gesagt. Doch nein«, sagte sie und versuchte zu lächeln. Das Lächeln erstarb in den Mundwinkeln. Das sah doch nicht nach Botox aus. Das war die Folge eines Generalliftings. Ich warf einen flüchtigen Blick auf ihren Hals über dem steifen Kragen. Er hatte die schlaffe Haut einer Gans, die man fürs Rupfen der Federn überbrüht hatte.
Ihr Hals war mindestens 60 Jahre alt. Ich wusste nicht, ob ich sie bemitleiden oder bewundern sollte.
Ich ging raus zu meinem Auto und nahm den Weg, den die Frau genommen hatte. Ich erwartete nicht, sie noch einmal zu sehen. Dennoch trieb mich mein Instinkt, diesen Weg nach Hause zu nehmen. Als ich in die Rothenbaumchaussee einbog, blinkte links der neongelbe Schriftzug des NDR auf einem lang gezogenen Gebäudekomplex aus den 1960er Jahren. 100 Meter rechts leuchteten die gelben Aufsätze von drei Taxen, die an einem Taxistand auf Kunden warteten. In das erste stieg gerade eine Frau in einem schwarzen Mantel.
Ich weiß nicht genau, was mich ritt, aber ich hupte mehrmals, als ich an dem Taxi vorbeifuhr. Der Kopf des Fahrers drehte sich in meine Richtung. Die Frau sah vom Rücksitz aus zu mir hinauf. Sie konnte es sein oder auch nicht. Ich lächelte und winkte ihr zu. Abrupt wandte sie das Gesicht ab. Hinter mir fädelte sich das Taxi in den Verkehr ein.
11
Pünktlich um sechs Uhr klingelte ich bei Patrizia. Josephine rannte die Treppe hinunter auf mich zu und umarmte mich stürmisch. Ich drückte ihr einen Kuss aufs Haar und fasste nach ihrer warmen, weichen Kinderhand, während sie aufgeregt erzählte, was sie am Nachmittag erlebt hatte. Patrick war früher aus dem Büro gekommen, und sie hatten zu viert
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