Im Zeichen der Angst Roman
meiner Seite gewesen, ohne dass ich es gewusst und ohne dass sie sich jemals bei mir gemeldet hatte.
Ich durchsuchte das gesamte Zimmer, ich durchsuchte das angrenzende Schlafzimmer. Ich durchsuchte die Kleiderschränke im Vorraum. Sie waren vollgestopft mit Kleidung und Schuhen erlesener Qualität. Ich tastete jede Bluse ab, jede Jacke, jede Hose. Ich fand nichts mehr.
Das war alles, was von ihr geblieben war. Sündhaft teure Kleidung, zwei Fotoalben, irgendwo im Keller des Hotels ein Fahrrad und zwei Konten mit anderthalb Millionen Euro.
Aber da war noch etwas. Ich stand vor dem Kleiderschrank und dachte fieberhaft nach. Irgendwo musste meine Mutter persönliche Unterlagen haben, Rechnungen, Bankauszüge, Garantien. Sie war jedes halbe Jahr zur Krebsvorsorge gegangen und mindestens einmal im Jahr zur Zahnkontrolle. Sie war da sehr gewissenhaft. Irgendwo musste etwas liegen. Sie war immer systematisch gewesen - und sie hatte die Rechnungen oder Bankauszüge nie weggeworfen. Alles hatte bei ihr seinen Platz, nichts blieb dem Zufall überlassen, und so manches Mal waren wir uns während meiner Jugend in die Haare geraten, weil ich alles herumliegen ließ und nichts wegräumen wollte. Sie mochte ihr altes Leben abgelegt haben, aber niemals ihre fast pedantische Ordnungsliebe.
Irgendwo musste es auch einen Fotoapparat geben. Ich schaute mich noch einmal in dem Zimmer um. Gut, die Polizei war hier gewesen, und sie hatten bereits alles durchsucht. Doch
sie kannten meine Mutter nicht. Entweder hatte sie irgendwo noch eine Wohnung, oder sie hatte einen Safe oder einen Container für ihre privaten Sachen und Unterlagen gemietet. Ich klopfte die Fußbodenleisten ab, ich suchte in den Lampenschirmen, griff unter den Schreibtisch, unter das Bett, das Sofa, die Sessel. Nichts. Resigniert gab ich auf.
Ich nahm die Fotoalben mit, als ich ging. An der Tür drehte ich mich ein letztes Mal um. »Tschüss«, sagte ich zu dem Zimmer, in dem meine Mutter unter einem falschen Namen die letzten sechs Monate ihres Lebens verbracht hatte. Ich würde nicht noch einmal herkommen.
Ich bat die Empfangsdame, die Sachen meiner Mutter nach Belieben zu entsorgen. Ich wollte nichts damit zu tun haben. Ich hinterließ meine private Visitenkarte mit Adresse und Telefonnummer und bat sie, mir die Rechnung für das Entsorgen der Kleidung zu schicken. Ich war mir sicher, dass ich keine bekäme und das Personal die Kleidung mit Kusshand nahm.
Die Scheckkarten lagen bei Mankiewisc. Die Konten hatten sie noch nicht freigegeben. Ich hatte keine Eile, das Geld zu erhalten.
Ich wollte schon gehen. Dann drehte ich mich noch einmal um.
»Wo hat meine Mutter eigentlich gegessen?«, fragte ich.
»Meistens hier«, sagte die Empfangsdame. »Wir haben ihr jeden Morgen das Frühstück raufgeschickt, und abends hat sie fast täglich hinten im Restaurant gesessen. Fragen Sie Bennie. Er ist an der Bar.«
Ich nickte, und dann ging ich in das Restaurant.
Es war leer. Hinter der Bar stand ein junger Angestellter mit einem Milchgesicht und lockigen blonden Haaren und putzte die Gläser. Das also war Bennie. Als ich eintrat, schenkte er mir ein Lächeln, das ebenmäßige weiße Zähne freilegte.
»Kann ich bitte einen Milchkaffee haben?«, fragte ich, setzte mich an den Tresen und legte die Alben vor mich hin.
Er nickte und machte sich an einer italienischen Espressomaschine zu schaffen.
»Dauert einen Moment«, sagte er. »Wir haben eigentlich noch nicht auf.«
Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor fünf.
»Ihre Mutter?«, fragte er und zeigte mit dem Kopf auf die Alben.
»Woher wissen Sie das?«
»Sie hat hier manchmal wie Sie jetzt gesessen, wenn noch kein anderer Gast da war. Manchmal hatte sie eines der Alben dabei. Und sie hat um diese Zeit immer einen Milchkaffee getrunken. Allerdings mit Karamell.« Er lächelte mich an.
»Machen Sie mir auch etwas Karamell rein«, sagte ich und lächelte zurück. Ich war dankbar, endlich jemanden zu treffen, der sie leibhaftig gekannt und mit ihr gesprochen hatte.
»Sie sind die Frau auf den Fotos«, sagte er und drehte sich zu mir. Er stand an der Espressomaschine und ließ den Kaffee in eine Tasse laufen. Dann schäumte er die Milch auf.
Ich nickte. »Ja.«
»Die Polizei hat uns alle vernommen«, sagte er und schöpfte den Milchschaum vorsichtig auf den Espresso.
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber Sie wussten ja alle nichts.«
Er sah mich einen Augenblick forschend an und zuckte mit den Achseln.
»Zeigen Sie
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