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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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schlug mir bis zum Hals, als ich den Umschlag mit zitternden Händen aufriss. Ich hatte darauf gewartet. All die Tage, die ganzen letzten zwei Wochen. Jedes Mal, wenn ich zum Briefkasten ging, schlug mir das Herz bis zum Hals. Jedes Mal, wenn ich den Schlüssel umdrehte, schickte ich ein Gebet zum Himmel, jemand möge mich und meine Tochter beschützen. Und jedes Mal, wenn nichts als Rechnungen oder Prospekte in ihm gelegen hatten, hatte ich erleichtert aufgeatmet.
    Ich zog ein Handy und ein DIN-A4-Blatt heraus. Wieder war ein Foto darauf: Josey und ich, wie wir aus dem Haus kommen. Sie trug den Parka und den Regenmantel. Das Foto war einen Tag alt.
     
    »Informieren Sie nicht die Polizei. Wir werden es erfahren, und Ihrer Tochter werden dann unangenehme Dinge geschehen. Wir erwarten genau zwei Millionen Dollar aus dem Erbe Ihrer Mutter. Sie haben vier Tage Zeit. Wir werden uns auf dem Handy melden. Tragen Sie es immer bei sich und benutzen Sie es nicht für andere Zwecke.«
     
    Ich stöhnte auf.
    Meine Beine versagten, und ich sackte auf die erste Treppenstufe. Wäre ich bei Verstand gewesen, hätte ich einen Schock diagnostiziert. Aber ich war nicht bei Verstand oder mein Verstand nicht bei mir. Nur meine Instinkte arbeiteten noch, losgelöst von meinem Bewusstsein. »Wenn du in der Klemme steckst, kontrolliere deinen Atem. Unter allen Umständen.« Auch das hatte John mir wieder und wieder gesagt. In irgendeiner Ecke meines Gehirns lagerte dieser Rat und erkämpfte sich im Alleingang die Herrschaft.
    Ich atmete tief ein, atmete aus. Langsam einatmen, langsam
ausatmen, repetierte eine Stimme in meinem Kopf, und mein Atem folgte ihr.
    Es war der vertraute Geruch dieses Treppenflurs, der mir bewies, dass ich nicht träumte und hier, in meinem Zuhause, trotzdem in einem Alptraum gefangen war.
    Einen Moment lang nahm ich nichts anderes wahr als diesen Geruch. Nichts, was ich kannte, glich ihm. Er war eine Mischung aus dem Eichenholz der Treppe, aus längst nicht mehr benutzten Putzmitteln und abgestandener Luft, über der etwas Undefinierbares lag, als hätte jeder, der dieses Haus jemals betreten hatte, seinen unverwechselbaren Geruch hinterlassen. Er hatte sich mit allen anderen vermischt zu einer Symphonie von Düften, die niemand mehr einzeln identifizieren konnte, doch die sich zu einem unverwechselbaren Eigengeruch zusammengefunden hatten. Diesen gab es nur in diesem Haus, wie es in jedem anderen ebenfalls immer einen speziellen Geruch gab. Dieser Geruch umgab mich nun wie ein schützender Mantel.
    Ich hatte Johanna verloren, als sie so alt war wie jetzt Josey. Das war etwas Undenkbares, etwas ganz und gar Unvorstellbares, für das es früher nicht einmal in meinen düstersten Fantasien einen Raum gegeben hatte. War Johanna mal nicht pünktlich nach Hause gekommen, hatte ich an einen heimtückischen Asthmaanfall gedacht und an eine Klinikeinweisung, vielleicht an einen Unfall. Aber doch nie daran, dass mein Kind vor mir sterben würde. Das geschah in Büchern, in Filmen. Es geschah vielleicht anderen Eltern, deren Kinder an Krebs starben, an Leukämie, an Kindstod oder durch Verkehrsunfälle. Aber so etwas geschah einem niemals selbst. Kinder hatten Träume, und diese Träume waren von Klarheit und Reinheit, und sie waren es wert, verwirklicht zu werden. Dazu brauchten Kinder Zeit. Johanna hatte diese Zeit nie gehabt. Doch Josey würde sie bekommen - und ich würde dafür sorgen.
    Wer auch immer mir diese Drohbriefe schickte, er würde mir keine Angst mehr machen.

    Ich steckte das Handy in die Gesäßtasche meiner Jeans und das Blatt zurück in den Umschlag. Ich lief die Treppe hinauf in meine Wohnung.
    Sie hatten mir vier Tage gegeben. Und einer Kuh, die man melken will, tut man gemeinhin nichts. Dennoch ging ich an den Safe in meinem Arbeitszimmer und holte die Glock 29 heraus, die dort seit meiner Haftentlassung lag. Sie hatte keine Seriennummer, natürlich nicht. Niemand konnte jemals zurückverfolgen, wem sie gehörte oder woher ich sie hatte.
    David Plotzer hatte sie mir kurz nach meiner Haftentlassung ohne Kais Wissen aufgedrängt. Er hatte mir prophezeit, dass es nicht vorbei war. Ich erwartete mein zweites Kind, und ich wollte die Vergangenheit los sein. Ich wollte ihn los sein. Ich warf ihn aus der Wohnung und den Schuhkarton mit der Waffe hinterher. Er drehte sich nicht einmal um, als der Karton hinter ihm die Stufen hinunterpolterte. Als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, blieb mir nichts

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