Im Zeichen der Angst Roman
der Leitung.
»Hallo Clara«, sagte er. »Wie geht’s?«
Ich ließ die Frage im Raum stehen. Sie war rhetorisch und ohne Bedeutung.
Ich räusperte mich kurz, und dann sagte ich es schnell und hastig: »Ich brauche deine Hilfe.«
»Was kann ich tun?«
»Nicht am Telefon«, erwiderte ich.
»Soll ich vorbeikommen?«
»Nein«, sagte ich.
»Ich schicke dir einen Wagen. Wir treffen uns bei mir zu Hause.«
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er aufgelegt.
14
Der Wagen, ein schwarzer 7er BMW, wartete 20 Minuten später unten vor der Tür.
Hazel lehnte an der Kofferraumhaube, die Arme über der Brust verschränkt. Er hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert. Er war fast zwei Meter groß und wog an die 100 Kilo. Er musste Mitte sechzig sein.
Ich lächelte, als ich ihn sah, und er lächelte zurück. Das Lächeln saß so schief in seinem breiten Gesicht wie seine Nase.
Er war mal Boxer gewesen in einer Zeit, als Muhammad Ali Anfang der Siebziger bewies, dass das ungeschriebene Gesetz des Boxens »They never come back« für alle anderen galt, doch nicht für ihn. Hazel war nur nie über billige Boxbuden und Spelunken hinausgekommen. Davids Vater, Peter Plotzer, hatte ihn Mitte der Achtziger in einer dieser Boxbuden gesehen. Abgewrackt, versoffen, kaum fähig zu kämpfen. Mit seinen 38 Jahren war er am Ende. Er war zu langsam, besaß nicht genügend Schlagkraft und hatte eine schlechte Technik. Doch unter all den Defiziten schimmerte ein ungebrochener Kampfgeist, der
ihn Schläge einstecken ließ, die andere auf dem Boden festgenagelt hätten. Das hatte Davids Vater beeindruckt. Er hatte ihn zu den Anonymen Alkoholikern geschickt und ihn als Fahrer und Leibwächter eingestellt. Als David in die Baufirma seines Vaters eingetreten war, hatte Peter ihn an den Sohn weitergereicht. Seither war Hazel Davids privater Personenschutz.
Josey und ich saßen auf dem Rücksitz. Sie kuschelte sich eng an mich, und wir blickten beide aus dem Fenster. Es war warm in dem BMW, der Motor schnurrte so leise wie eine Katze.
Wir fuhren denselben Weg wie damals, vorbei am Grindel mit seinen schaurigen Hochhäusern, die eine Zeitlang die höchste Selbstmordrate der Stadt aufwiesen, rechts in Richtung Elbe abbiegend, schließlich vorbei am Altonaer Rathaus, dann rechts in die Elbchaussee hinein, die dem Stromverlauf der Elbe kilometerlang folgt.
Schließlich standen die Bäume dichter, die Grundstücke wurden größer, weitläufiger, und die Häuser waren von der Straße aus nicht mehr zu sehen. Wir fuhren dorthin, wo das alte hanseatische Vermögen sich in Prachtvillen auf den dazugehörigen exklusiven Anwesen und Landsitzen hinter dichten Hecken verschanzte.
Die Plotzers hatten sich als eine der wenigen »neuen« Familien Mitte der fünfziger Jahre in dieser Gegend auf einem Landsitz angesiedelt, der einst einer hanseatischen Bankiersfamilie gehört hatte. Nachdem die beiden einzigen Söhne im Krieg gefallen waren, hatten die Eltern Bank und Anwesen 1957 schließlich verkauft und waren in die Schweiz gezogen. Der Bauunternehmer Plotzer hatte das Areal erworben, weil er zutiefst überzeugt war, dass Land das Einzige war, das niemals an Wert verliert und schon gar nicht in so exklusiver Lage mit Elbblick.
Als wir in die Zufahrt einbogen, wanderte mein Blick die Eichenallee entlang. Statuengleich standen die kahlen Bäume vor dem grauen Himmel. In einiger Ferne stand auf einem Hügel
das Familienmausoleum. Beim Anblick dieses düsteren Marmormonumentes legte ich unwillkürlich meinen Arm um Josey.
Für Peter Plotzer hatten die Gesetze Normalsterblicher noch nie gegolten, und wenn er sich etwas in den Kopf setzte, dann setzte er es auch durch. Als seine Frau Marianne an Krebs starb, hatte er über dubiose Verbindungen und Kanäle eine Sondererlaubnis erhalten, auf seinem Grundstück ein Familienmausoleum zu errichten.
Inzwischen lagen dort zwei Frauen. Marianne und Davids Frau Claudia, die sich ein Dreivierteljahr nach der Entführung meiner Tochter umgebracht hatte. Sie war 36 Jahre alt und hinterließ ihre siebenjährige Tochter Katharina, Johannas beste Freundin und jenes Mädchen, das eigentlich gekidnappt werden sollte. Es war damals ein offenes Geheimnis, dass Claudia seit einem schweren Reitunfall ein paar Jahre zuvor tablettenabhängig und alkoholkrank war.
Ich brauchte nicht zu klingeln. Als Josey und ich vor der Eingangstür des Herrenhauses standen, riss jemand die Tür so beherzt auf, als wollte er sie
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