Im Zeichen der Angst Roman
seine Privatangelegenheiten zu mischen. Das mussten die beiden untereinander abmachen.
Ich zog die beiden Umschläge aus meiner Umhängetasche. Ich legte die vier Fotos und den Brief nebeneinander auf seinen Schreibtisch. David starrte auf die Fotos.
»Du hast vor sechs Jahren gesagt, es könnte sein, dass es nicht vorbei ist. Du hattest Recht«, schloss ich. »Und jetzt sag mir, weshalb du das gesagt hast und was du weißt.«
David schwieg. Er nahm den Brief und las ihn.
»Antworte mir. Ich bin es leid, dass meine Familie für deine den Kopf hinhält«, sagte ich, nachdem er den Brief zurückgelegt hatte.
Er ließ sich auf den Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen. Der Sessel knarzte unter seinem Gewicht. David gehörte zu jenen gut aussehenden Typen, die man in der Hamburger Innenstadt rund um den Jungfernstieg und den Neuen Wall alle zehn Meter antrifft. Smarte, groß gewachsene Geschäftsmänner in
erlesenen dunklen Anzügen, die immer die neuesten Aktienkurse kennen und immer das neueste Handy besitzen. Sie wohnen in Harvestehude, in Eppendorf oder, wie David, hier an der Elbe, und wenn sie sich zur Ruhe setzen, ziehen sie häufig in luxuriöse Landhäuser weit weg vom Trubel der Hansestadt.
»Was weißt du?«, fragte er im Gegenzug in einem geschäftsmäßig kühlen Ton und sah zu mir hoch. Dahinter konnte sich die Arroganz jener Erfolgsmenschen verbergen, die wissen, dass man ihnen nichts anhaben kann, und die niemals auf Fragen antworten, wenn sie nicht wollen. Es konnte aber auch sein, dass sich hinter der Distanz nichts anderes verbarg als die eigene Ratlosigkeit.
»Nichts«, sagte ich mit einer Gelassenheit in der Stimme, die meiner Verfassung in keiner Weise entsprach, doch die ich mir in meinem Job antrainiert hatte. Es macht mich nicht besonders stolz, aber es kommt vor, dass man in meinem Beruf ebenfalls nicht alles offenlegt, was man weiß.
Ich hatte im Sommer 1995 in der Redaktion einen Tipp von einem Informanten bekommen. Peter und David Plotzer, Vater und Sohn, sollten als »Hamburger des Jahres« für ihr soziales Engagement ausgezeichnet werden. Sie hatten Anfang der neunziger Jahre eine »Stiftung zur Integration Russlanddeutscher« gegründet. Sie bemühten sich, all jenen Russlanddeutschen zu helfen, die in Hamburg durch das soziale Netz gefallen waren. Sie boten diesen so genannten Spätaussiedlern Deutschkurse an, besorgten Kindergartenplätze, Wohnungen, Arbeitsstellen, Umschulungsplätze. Sie galten als erfolgreich, und sie waren es. Das war die öffentliche Seite der Stiftung, das Aushängeschild. Inoffiziell, so besagten unsere Informationen, besorgten sie billige, Deutsch sprechende Schwarzarbeiter aus Russland und bedienten damit ein kaum zu überblickendes Geflecht von Firmen, die die Leute an Steuer und Krankenkassen vorbei beschäftigten.
Claus tat das Ganze zunächst als albernes Gerücht ab. Doch als sich ein zweiter Informant meldete, konnte er die Story nicht mehr ignorieren. Dennoch wollte er mit der Geschichte nichts zu tun haben. David war seit einigen Jahren einer seiner Tennispartner, und sie trafen sich sporadisch auf den Tennisplätzen am Rothenbaum. Doch ich ließ nicht locker und kriegte Claus schließlich mit seiner Journalistenehre und dem Versprechen, dass wir schauen könnten, was wir herausfinden. Erst danach würden wir entscheiden, ob wir die Geschichte veröffentlichten.
Wir begannen im August 1995 mit intensiven Recherchen. Wir legten ein Dossier an. Wir fanden keine Hinweise darauf, dass die Plotzers Schwarzarbeiter aus Russland vermittelten, und Claus wollte die Story schon zu den Akten legen. Doch mein Jagdinstinkt war geweckt, und so begann ich am Punkt null.
Anfang der 1950er Jahre kam Peter Plotzer nach Hamburg. Er trug russische Papiere bei sich, die besagten, dass er von 1945 bis 1951 in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen war und in Irkutsk in einem Steinkohlenbergbau gearbeitet hatte. Doch in keinem der Archive, in denen unser russischer Korrespondent fahndete, tauchte der Name Peter Plotzer als Lagerinsasse auf. Der 1923 geborene Peter Plotzer war vielmehr bereits auf dem Transport nach Sibirien gestorben. Seine Angehörigen kamen 1944 bei einem Luftangriff in Hannover um.
Wir fanden heraus, dass Peter Plotzer 1951 ein Konto bei jener Hamburger Privatbank eröffnete, von deren Eignern er später das Anwesen an der Elbe erwarb. Er zahlte bar zweieinhalb Millionen deutsche Mark auf das Konto ein. Niemand konnte uns sagen,
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